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SOS aus Nord-Neukölln: ''Die Armen schwappen hier rüber''

Die Spaltung Neuköllns nimmt zu: Einer Studie der Humboldt-Universität zufolge konzentrieren sich die sozial Schwachen zunehmend auf den Norden des Bezirks. Eine Gegend, die sich zunehmend vom Rest der Stadt abkoppelt.

"Neukölln kokettiert mit seinem Elend, anderswo gibt es auch Probleme." Solche Vorwürfe schlugen Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky im Juli entgegen, nachdem Soziologen der Humboldt-Universität in einer Studie vor der drohenden sozialen Spaltung Neuköllns in einen problematischen Norden und einen stabileren Süden gewarnt hatten. Das wollte Buschkowsky sich nicht gefallen lassen - und beauftragte den Stadtentwicklungs- Professor Hartmut Häußermann, die Entwicklung Neuköllns im Vergleich zu anderen Berliner Teilgebieten wissenschaftlich zu untersuchen. Gestern wurde die "Trendanalyse 2002-2007" im Rathaus Neukölln vorgestellt.

"Die Ergebnisse überraschen in keinster Weise", sagte Buschkowsky. In Neukölln-Nord - dem Gebiet zwischen Landwehr- und Teltowkanal - lebten der Studie zufolge 4,6 Prozent der Berliner Bevölkerung - aber 7,6 Prozent aller Arbeitslosen, 14,5 Prozent aller ausländischen Arbeitslosen, 7,1 Prozent aller Langzeitarbeitslosen sowie neun Prozent aller nicht-erwerbslosen Hartz-IV-Empfänger.

Häußermann stellte fest, dass die soziale Spaltung des Bezirks weiter zunehme. Neukölln-Nord koppele sich von der Gesamtentwicklung Berlins ab. Viele positive Trends kämen nicht oder nur abgeschwächt an. Im Vergleich zur Gesamtberliner Entwicklung gehe etwa die Arbeitslosigkeit am schwächsten zurück.

Für Buschkowsky ist Bildung der Schlüssel zur Lösung der Probleme

Zudem verlagerten sich "soziale Problemlagen" von sich positiv entwickelnden Nachbarbezirken wie Kreuzberg nach Neukölln. Während wohlhabende und stabile Familien den Bezirk verließen, zögen sozial Schwache nach Neukölln - auch wegen der günstigen Mieten. Buschkowksy: "Die Armen schwappen hier rüber." Bis zu drei Viertel der Kinder lebten in Haushalten, die soziale Zuwendungen beziehen. Viele Milieus lebten isoliert von der übrigen Gesellschaft.

Die Situation sei "besorgniserregend und beängstigend". Die Probleme verfestigten sich, trotz zahlreicher erfolgreicher Projekte könne man nicht mehr auf die sozialen "Selbstheilungskräfte" vertrauen. Die Politik müsse dringend eingreifen. Seit dem ersten "Neukölln-Gutachten" im Juli habe es keine "fassbaren" Ergebnisse gegeben.

Für Buschkowsky ist Bildung der Schlüssel zur Lösung der Probleme. Die jetzt 18-Jährigen ohne Schulabschluss oder Ausbildung seien eine "lost generation", sagte er. "Wir sollten keine weitere entstehen lassen." Der Bürgermeister will nun Programme zur Eingliederung Jugendlicher in den Arbeitsmarkt starten. Außerdem sollen die 19 Grundschulen im Bezirk zu Ganztagsschulen werden, Buschkowsky veranschlagt fünf Millionen Euro für Umbauten und sechs Millionen für Personal. Zudem soll jede Schule eine "Schulstation" mit Sozialpädagogen bekommen. Kosten: 75 000 Euro pro Station - "so viel wie zwei Knastplätze". Prävention sei eben billiger als "Reparatur".

Weil Neukölln erheblich höhere Integrationsaufgaben zu leisten habe als Berlin insgesamt, plädierte Buschkowsky für einen "Wertausgleich" zwischen den Bezirken. Das sei die "solidarische Pflicht der gesamten Stadt".

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