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Berlin: SPD hat Gesprächsbedarf mit den Wählern

Ratlosigkeit bei der SPD nach dem Europawahl-Sonntag - was ist schief gelaufen? Nach der desaströsen Niederlage setzen die Berliner Sozialdemokraten nun auf eine hohe Mobilisierung im Bundestagswahlkampf.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt, die für die Berliner Sozialdemokraten seit 20 Jahren in Straßburg sitzt, ist ratlos. „Ich habe keine Erklärung für dieses Ergebnis. Offenbar gelingt es uns nicht, den Wählern zu vermitteln, dass europäische Politik keine Angelegenheit abgehobener Eliten ist, sondern Innenpolitik, die alle angeht.“ Diese Botschaft unter die Leute zu bringen sei nicht nur Aufgabe der EU-Abgeordneten und der Medien, sondern auch der Regierungen, Behörden und Parlamente in Bund, Ländern und Kommunen.

Auch andere Genossen sind irritiert. „Für unser Wählermilieu scheint Europa weit weg zu sein“, sagt Fritz Felgentreu. Der Neuköllner SPD-Kreischef und Bundestagskandidat will gar nicht erst den Eindruck erwecken, als wenn es für dieses Grundproblem der Berliner Sozialdemokraten einfache Lösungen gebe. Das sieht auch Jörg Stroedter so, der in Reinickendorf für die SPD in den Bundestag will. „Unsere Wähler bringen ihre Alltagsprobleme, Arbeitslosigkeit und sozialen Nöte nicht mit dem europäischen Parlament in Verbindung.“ Da helfe auch kein engagierter Wahlkampf. Nur 161 614 Wähler haben sich am Sonntag in Berlin für die SPD entschieden. Bei der Bundestagswahl 2005 waren es 637 674. Fast vier Mal so viel.

Eine solche Pleite hat die Partei Klaus Wowereits seit der Wiedervereinigung 1990 noch bei keinem Wahlgang erlebt. Am frühen Abend befasste sich der SPD-Landesvorstand mit dem Desaster. Die Losung der Bundesspitze, nun aggressiv in den Bundestagswahlkampf zu gehen, um das eigene Wählerpotenzial voll auszuschöpfen, wurde am Montag vom Regierungschef Wowereit und SPD-Landeschef Michael Müller dankbar aufgegriffen. „Maximale Anstrengung, maximale Mobilisierung“ kündigte Müller an.

Bei den Aktivisten an der Parteibasis finden diese Parolen durchaus Resonanz. „Die SPD wird die nächsten Wochen nutzen und intensiv mit den Menschen ins Gespräch kommen“, gelobte zum Beispiel der Lichtenberger SPD-Vorsitzende Andreas Geisel, dessen Kreisverband bei der Europawahl gegen die starke Linke nichts ausrichten konnte. Und die routinierte SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Merkel, die zum dritten Mal in Charlottenburg-Wilmersdorf antritt, forderte: „Wir müssen im bevorstehenden Wahlkampf aktiv auf die Menschen zugehen und uns mit ihren Problemen direkt auseinandersetzen.“ Sie sei mit diesem einfachen Rezept persönlich immer gut gefahren.

Mögliche Auswirkungen des desaströsen Ergebnisses bei der EU-Wahl auf die Regierungsarbeit in Berlin oder die Abgeordnetenhauswahl 2011 zieht in der Landes-SPD niemand ernsthaft in Betracht. Dass Schwarz-Grün am Sonntag eine rechnerische Mehrheit erzielte, wird mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen. Schön sei das nicht, auch keine Ermutigung für die Zukunft, sagen die Funktionäre. Aber die bittere Niederlage der SPD bei der Europawahl sei bei künftigen Wahlen durch eine hohe Wahlbeteiligung – 75 bis 80 Prozent – korrigierbar. Alles andere wäre für die Sozialdemokraten auch eine Katastrophe. Mit einem Ergebnis wie am Sonntag könnte die SPD bei kommenden Bundestags-, Abgeordnetenhaus- oder bei Bezirkswahlen keinen einzigen Wahlkreis direkt gewinnen.

Dennoch warnt der europapolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Zimmermann, vor der Illusion, dass die Wende zum Besseren automatisch komme. „Bei unseren potenziellen Wählern hat sich in den letzten Jahren ein nachhaltiger Frust entwickelt.“ Solange die SPD als Regierungspartei mit einer „Politik der Ungerechtigkeit“ in Verbindung gebracht werde, seien tief sitzende Enttäuschungen schwer zu beseitigen. Diese Lehre zieht Zimmermann aus der EU-Wahl: „Die SPD muss sich wieder stärker an ihren traditionellen Milieus orientieren.“ Die Wahlstatistik scheint ihm recht zu geben. Besonders die Hartz- IV-Empfänger, Ausländer, deutsche Migranten und Berliner, die in einfachen Wohnlagen leben, haben der SPD am Sonntag die kalte Schulter gezeigt.

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