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Bergab... geht es nicht nur mit den Temperaturen. Im Viktoriapark macht der Neuschnee viel Spaß.

© Kai-Uwe Heinrich

Langer Berliner Winter: Vergiss den Frühling

Übers Wetter meckern kann jeder. Warum nicht einfach mal genießen? Vor allem die Kleinen vergnügen sich dieser Tage bei den letzten Schneeballschlachten der Saison.

Zuerst tut er weh, der Schnee im Viktoriapark. Die Augen schmerzen, von oben rieselt es scharfe Eiskristalle, von unten zieht die Kälte prickelnd durch die Schuhsohlen, linker Hand ächzen die Äste der Bäume unter der weißen Last und schaut man nach vorne, erhebt sich ein blendend weißer Hügel. Doch halt – es ist nicht alles weiß und tot im Park an der Kreuzberger Straße. Eine bunte Perlenkette zieht sich am Hang entlang. Hinauf stapfen kleine Gestalten in knalligen Schneeanzügen, hinab sausen die Kinder mit großem Gejohle. „Eigentlich hat keiner mehr Lust auf den Winter“, sagt Marlies, die Erzieherin der „Monumentenbande“, „aber wenn man die Kinder erst einmal angezogen hat, sind alle ganz begeistert.“

Lustlos wirken die Kleinkinder im Alter von anderthalb und fünf Jahren jedenfalls nicht. Rosalie übt ihre Snowboardkünste auf zwei zusammengesteckten Snowglidern – das könnte man Mitte März normalerweise nicht mehr. Und noch einen Vorteil hat der Schnee: Als die kleine Nachwuchssnowboarderin hinfällt und ihr die Tränen über die roten Bäckchen fließen, reibt der Erzieher ihr den Arm einfach mit Schnee ein. Weitere Verwendungsmöglichkeiten des gefrorenen Wassers führen ihre Spielkameraden vor: Wer beim umgekehrten Schneeengel die Nase tief genug in den Schnee gräbt, bekommt eine Portion Eis umsonst. „Leckaaa“, kräht ein kleiner Junge und schleckt sich genüsslich seinen Schneebart ab.

Dass an diesem Mittwoch tatsächlich kalendarisch der Frühling beginnt, ist bei einem Blick aus dem Fenster kaum zu glauben. Während Fahrrad- und S-Bahnfahrer über die 20 Zentimeter Neuschnee, die in der Nacht von Montag auf Dienstag fielen, eher fluchten, genießen vor allem die Kleinen die unverhoffte Schneeschicht. Hanna, 4 Jahre, macht sich sofort daran, eine Schneekugel zu rollen. Sie vermisst den Sommer nicht, sondern freut sich über knackiges Winterwetter, „weil ich dann Schneemänner bauen kann und Schlitten fahren“. Und schon ist sie weggerollt mit dem Bauch für ihren Schneemann. Vater Lars Höflich würde auch am liebsten gleich den Hügel herunterrodeln. „Aber jetzt muss ich erst mal mit der Kleinen bauen.“

Auf dem Tempelhofer Feld dagegen will der Winterzauber nicht so recht aufkommen. Die Fläche liegt verlassen da, scharfer Wind treibt den Schnee in schrägen Böen über die verlassene Ebene. Verlassen? Nicht ganz. Eine knallrote Bommelmütze über flatterndem Cape nähert sich. „Das ist doch herrlich!“, ruft Hans Philipp, 68, weißer Schnauzbart, goldene Brillenfassung. Seine Frau Miriam hält sich den Schal vors Gesicht. Mehrmals die Woche spazieren die beiden um das ehemalige Rollfeld herum. „Man soll doch nicht hinterm Ofen hocken“, sagt er.

Das Tempelhofer Feld scheint der Ort für besonders Hartgesottene zu sein. Für Olaf Högermeyer ist der Schnee kein Thema, er freute sich, als er am Morgen aus dem Fenster blickte und alles weiß vorfand. Allerdings schaut er als Drachenlenker auch eher nach der Wetterfahne als nach der Bodenbeschaffenheit. „Momentan ist nicht so viel Wind wie am Wochenende“, sagt er, während er seinen neuen Drachen an zwei Schnüren durch die Luft lenkt. Er steht mit dem Rücken im Wind, Neoprenjacke und dicke Wanderstiefel schützen ihn vor der schlimmsten Kälte.

Ob Kleinkinder oder Rentner – bei so viel Spaß am Draußensein scheint sich das Lied „Dickes B“ der Band „Seeed“ jedenfalls nicht zu bewahrheiten. In der Ode an Berlin heißt es: „Im Sommer tust Du gut und im Winter tut’s weh.“ Davon will Olaf Högermeyer nichts wissen. „Ist doch optimal heute“, sagt er und lässt seinen Drachen ein paar übermütige Achten drehen.

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