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Im Reich der kreisenden Scheiben. Rund 10 000 Spielautomaten gibt es in Berlin, und es werden immer mehr. Foto: Imago

© imago stock&people

Spielsucht: Las Vegas im Problemkiez

In Berlin wächst die Zahl der Spielhallen rasant, rund 500 gibt es derzeit. Viele Zocker suchen dort Ablenkung vom Alltag – und werden süchtig.

Alex sitzt vor dem Bildschirm und wartet auf die fünf Entdecker. Klongklongklong – wieder nichts. Fünf Entdecker in einer Reihe bringen 50 Euro. Oder 10 000. Je nach Einsatz. Alex, vor 63 Jahren in der Sowjetunion geboren, lächelt bitter aus seinem knittrigen Gesicht. „Ich kenne diese Geräte“, sagt er. Anfang der neunziger Jahre hatte er selber eine Spielhalle. Jetzt lebt er von Hartz IV und spielt, bis die zehn Euro weg sind, die er sich als Limit setzt. Warum er spielt? „Zeitvertreib. Der Mensch ist ein Roboter.“

Berlin ist voller schwarzer Löcher, die Zeit und Geld verschlucken, die süchtig machen und Existenzen vernichten. Sie heißen Automatencasino oder Spielothek, werben mit greller Glückssymbolik und vermehren sich rasend schnell. Vor allem dort, wo Menschen mit wenig Geld und Selbstvertrauen leben, in Wedding, Neukölln-Nord oder Spandau-Wilhelmstadt. Die Zahl der Spielhallen hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. 500 gibt es derzeit, allein im Bezirk Mitte sind 25 weitere schon beantragt. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl illegaler Pokerstuben und Zockerkneipen in der Stadt. Die Politiker wollen die Spielhallenseuche eindämmen, es eilt, aber sie diskutieren noch, wie das funktionieren kann.

Alex findet, man sollte Spielhallen einfach verbieten. Wie in Russland. Sonst sei dem Spuk nicht beizukommen. Weil Putin das Glücksspiel in bestimmte Sondergebiete verbannt hat, wandert viel russisches Glücksspielkapital ins Ausland, auch nach Berlin. Hier ziehen Spielhallen in leerstehende Kneipen oder Läden. Auch in reine Wohngebiete dringen die Hallen inzwischen vor, weiß SPD-Glücksspielexperte Daniel Buchholz. Die meisten Betreiber stammten aus Russland, arabischen Ländern oder der Türkei. Ähnlich verhält es sich mit ihren Kunden.

Mehmet und Ayhan (Namen geändert) daddeln in der Vulkan-Spielhalle am Weddinger Nettelbeckplatz. Sie sind jung, Anfang 20, und haben Jobs. Mehmet arbeitet in einer Sparkasse, Ayhan als Zeitarbeiter beim Zigarettenhersteller Philipp Morris. Mehmet behauptet, dass er in den letzten drei Jahren 300 000 Euro verzockt hat. An den Automaten von Vulkan, aber auch im staatlichen Casino am Potsdamer Platz. „Nicht gut“, sagt er, senkt den Kopf und lacht in sich hinein. Seine Beine wippen auf und ab. „Wenn du gewinnst, erhöhst du das Risiko.“ Bis das Geld wieder weg ist. „Schreiben Sie, dass die Geräte die Leute kaputtmachen.“

Der Gesetzgeber hat sich kleine Schikanen ausgedacht, um das Gewerbe einzudämmen. Pro Spielhalle dürfen maximal zwölf Geräte aufgestellt werden, und jeder Automat beansprucht eine Mindestfläche von zwölf Quadratmetern. Außerdem gilt das Rauchverbot. Doch in der Realität führt das allenfalls zu skurrilen Lösungen. Eine Spielhalle wird in drei oder sechs Räume verschachtelt, für die jeweils eine eigene Konzession beantragt wird. Experten sprechen von „Sechsern“ oder Großspielhallen. Das Überangebot an Hallenfläche steht einfach leer. Da können sich die Spieler mal die Beine vertreten, ohne gleich das Etablissement verlassen zu müssen. Und genau darum geht es: Der Spieler soll die Spielhalle nicht mehr verlassen, die Zeit vergessen und sein Leben außerhalb der Zockerstube gleich mit. Drinnen ist es immer Nacht, 24 Stunden lang. Getränke und kleine Snacks werden gratis an den Spielautomaten geliefert. Bis zu 36 Stunden harren die Süchtigen aus, um Verluste wieder reinzuholen, und versinken dabei immer tiefer im Rausch. Nebenher rauchen sie Kette, eine Sucht stützt die andere. Für das Rauchverbot interessiert sich hier keiner.

Im MM-Casino, der zweiten Großspielhalle am Nettelbeckplatz, sitzt eine Frau seit Stunden am Gerät, die Jacke hat sie anbehalten, als wolle sie gleich wieder gehen. Sie erzählt, ihr Partner finde es schlimm, dass sie spielt. Nach der Arbeit kommt sie her, zum „Stressabbau“ an den Spielgeräten, dem „Höllenzeug“. 40 Euro hat sie gewonnen, mit leuchtenden Zitronenreihen von „Banana Splash“. „Das Geld nehme ich jetzt mit nach Hause.“ Sagt sie, tut es aber nicht. Das Geld stopft sie in den Automaten gegenüber. Dann kommt die Aufsicht vom Casino, eine hagere Frau im gelben MM-Shirt, und fordert den Reporter auf, zu gehen. „Der Chef hat auf der Videokamera gesehen, dass Sie Fragen stellen. Der möchte das nicht.“

Klongklongklong. Diesmal im „Laguna“ an der Reinickendorfer Straße. Die Entdecker vom Spiel „Book of Ra“ drehen sich in vielen Daddelhallen. Die meisten Spiele sind austauschbar und funktionieren nach dem klassischen Glücksradprinzip. Die Automaten ließen sich aber nicht mehr knacken wie früher, sagt Yazim, 40 Jahre alt, Programmierer und Spieler. Yazim empfindet das wiederkehrende Rotieren der grellen Figuren als entspannend, deshalb kommt er meistens nach der Arbeit, und seine Frau setzt sich neben ihn. Sie sei inzwischen süchtiger als er. Yazim lacht, es scheint ihm gut zu gehen. Er verdiene nicht schlecht als Programmierer. Um der Spielsucht Grenzen zu setzen, hat er eines seiner Konten vor dem eigenen Zugriff gesperrt. Aber vor einer anderen Gefahr schützt das nicht. „Man wird asozial“, sagt Yazim. Früher ging er häufig mit Freunden ins Kino. Jetzt wird er unruhig in Gesellschaft. „Hier ist es absolut ruhig. Man vergisst die Zeit.“

Vorhin hatten Yazim und seine Frau 210 Euro gewonnen. Jetzt steht das Geldkonto im Automaten wieder auf Null. Yazims Frau schiebt einen neuen Schein in den Einzugsschlitz. „Im nächsten Jahr wollen wir aufhören mit dem Spielen“, sagt Yazim zum Abschied.

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