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Berlin: Laue Moral und bunte Blumenerde - die Messe weist die Zukunft

Sogar im Radio geben sie nun schon Tipps durch. Man soll sich anstellen und so tun, als wolle man etwas kaufen.

Sogar im Radio geben sie nun schon Tipps durch. Man soll sich anstellen und so tun, als wolle man etwas kaufen. Dann darf man in der Regel auch kosten. Kostenlos. Falsche Tatsachen vortäuschen und hundsgemein lügen - ist das ein Trend? Die Grüne Woche - ein Schaufenster in die Zukunft. Bei den Lebensmitteln soll es doch so etwas sein. Sozialpädagogisch auch?

Die Besucher tun erschrocken. Was können sie denn dafür, wenn alles immer teurer wird. Das kann sich ja keiner mehr leisten. Da muss man ja einfach tricksen. Und außerdem, gibt einer zu, macht es ja auch Spass. Vier Fertigsuppen hat er schon erspielt. Eine ist erlaubt. Dieser Trick funktioniert folgendermaßen: Warten, bis eine neue Spielleiterin das Spiel betreut und einfach wieder anstellen. Die Situation sieht dann so aus: Vor einem niedrigen Podest drückt sich eine lange Schlange Menschen zwischen eins-zehn und eins-achzig. Gemacht ist das Podest eher für die Menschen um eins-zehn. Die kommen auch gut mit den Händen in das Samtsäckchen rein. Dort sind kleine Bälle verborgen, die die eins-zehn-Menschen dann in einen Korb werfen und dafür eine Fertigsuppe bekommen. Bei den eins-achtig-Menschen erinnert der Vorgang eher an Müllaufsammeln. "Workfare" - Essen gegen Arbeit - heißt das in Amerika. Auch dafür gibt es eine Belohnung.

Ja, ja, die Moral sinkt im neuen Jahrtausend. Auch auf der Grünen Woche. Aber auch hier gilt: Wer maßlos ist, und sich zu viele Bauernspenden in die Tasche steckt, fällt unangenehm auf. Denn auf eine Spende sollen Taten, Kauftaten folgen. Aber die Besucher bleiben hart. Gekauft wird wenig. Moralverlust ja - Bestechlichkeit nein. Hoffnung auf der Grünen Woche.

Aber das neue Jahrtausend bringt auch bunte Töne. Um genau zu sein pinke, türkise, rote und apfel-grüne. Von weitem sieht das bunte Wunder aus wie ein Stand mit glitzernden Edelsteinen. Die sind der Mädchen beste Freunde; und so hat der Stand-Mann ausschließlich weibliche Lauf-Kundschaft. Die starrt fasziniert auf die glitschigen Klumpen, denn bei näherem Hinschauen verwandeln sich die Edelsteine in Gel-Knubbel. Der einzige Mann vor dem Stand steckt heimlich seinen Finger in die Masse und verzieht danach wohlig das Gesicht. Das ist Blumenerde. Blumenerde für das Dritte Jahrtausend. Mit Hydro-Gel, röchelt der Stand-Mann in die Menge, sei das Überwintern in Mallorca absolut kein Thema mehr. Sechs bis acht Wochen halte sich das Wasser im Gel, erst dann müsse man wieder welches auffüllen. Offensichtlich scheint das Mallorca-Problem die Massen anzusprechen. Denn flink greifen die Frauen nach den Tütchen mit dem Gel-Granulat, das abgezählte Geld schon in der Hand. Niemand fragt nach einem Werbe-Tütchen. Das hier ist die Zukunft und die will keiner umsonst. Denn die Zukunft soll Qualität haben und die hat ihren Preis.

Der Stand, der der Zukunft am nächsten kommt, ist allerdings wie leergefegt. In Halle 3, Stand 9 wird die Zukunft verschenkt. Einfach so. Das kann keiner so einfach verdauen. Und daher liegt sie, zu Bergen aufgehäuft, trostlos auf dem Teller: eigens für die Grüne Woche gebackene, weil in Deutschland noch nicht zugelassene Gen-Kekse. Selbst tricksen - ja, denkt der Messe-Profi, aber trickreiche Lebensmittel - das macht keinen Spass.

Kerstin Kohlenberg

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