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Berlin: Laura Kikauka versammelt Jahrhundertschrott in der Funny Farm East

Die Hackeschen Höfe haben in den vergangenen zehn Jahren eine vorhersehbare, aber dennoch erstaunliche Metamorphose erlebt. Wo noch vor Jahren der morbide Charme des ungebremsten Verfalls hauste, protzt längst eine spätbarocke Luxusästhetik.

Die Hackeschen Höfe haben in den vergangenen zehn Jahren eine vorhersehbare, aber dennoch erstaunliche Metamorphose erlebt. Wo noch vor Jahren der morbide Charme des ungebremsten Verfalls hauste, protzt längst eine spätbarocke Luxusästhetik. Doch auch die heimliche Zentrale der Gegenästhetik zum stromlinienförmigen Design der neuen Mitte hat hier ihre Heimat. Die "Funny Farm East" im Haus Schwarzenberg ist Schrottplatz, Kuriositätenkabinett und Spielzeugparadies zugleich. "Vorsicht, hier wohnt ein Teenager", warnt ein Schildchen auf der Tür unterm Dach.

Wunderland unterm Dach

Dahinter wohnt die 1963 geborene Kanadierin mit dem lettischen Namen Laura Kikauka. Ihr kleines Reich ist ein kleinteiliges Wunderland, in dem es blinkt, glitzert, funkelt und piepst.

Wie nach einer Explosion hat sich vielfarbig schimmerndes Material über Decke, Wände und Boden verteilt. In den Augen eines in Öl gemalten Schwarzwaldmädels blinken bunte Dioden, ein Plastik-Torero ist mit Gebissen behängt. In einem illumierten Fernsehturm steht ein winziges Plastik-Brautpaar vor einem Miniaturaltar, auf dem Bier und Brötchen angerichtet sind.

"Wenn die Dinge sich nach Farben sortiert in einem Raum versammeln, verlieren sie ihre Hässlichkeit", behauptet Kikauka. Kleine Motoren und Bewegungsmelder ermöglichen ihnen überdies ein Eigenleben. An der Decke baumeln Barbie-Puppen im Weihnachtsmannkostüm und gucken mit weit aufgerissenen Augen auf diese Welt herab, gegen die ein Disneyland geradezu aseptisch wirkt.

Mitten in diesem wohlorganisierten Chaos findet Kikauka Platz für Bett, Badewanne und Schreibtisch, und erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass selbst hier eine ordnende Kraft waltet. In Kästchen und Schubladen ist alles sorgsam nach Farbe, Größe und Form sortiert. Die Ordnerin, die sich selber eine "Techno-Nymphe" und "professionelle Hobbyistin" nennt, ist studierte Künstlerin. Von der Malerei hat Kikauka sich früh abgewandt und stattdessen Elektronik, Computerkunst, Video und Holographie erlernt. Zeitweise lehrte sie am Ontario College of Art. Die Liste ihrer Tätigkeiten ist lang: Seit Mitte der 80er Jahre bespielte sie Ausstellungen zwischen Toronto, Amsterdam, Paris und New York, bis sie 1992 nach Berlin kam.

Seitdem sammelt Kikauka manisch, was die DDR an Material hinterlassen hat und kittet es nahtlos mit dem kapitalistischen Wohlstandsmüll zusammen: Elektroartikel, Haushaltswaren, Spielzeug, Plattencover und Poster. All dies schleppte sie schon vor Jahren in eine "Glowing Pickle" getaufte Garage in der Brunnenstraße, die sie gemeinsam mit dem Klang- und Schrottkünstler Bastiaan Maris zum Fachhandel für gebrauchte Elektronik umfunktionierte. Um Mitternacht kam die Kunst unter den Hammer, man zog Krawatten durch den Schredder. In Reagenzgläsern schäumten giftgrüne Alkoholika, während über alledem die namensgebende Gurke zwischen zwei Stromkabeln verglühte.

Später zog Kikauka in den Volksbühnenpavillon und verramschte dort Selbstgebasteltes ("Basteling") zu Dumpingpreisen. Kikaukas Ehemann, der Klangkünstler Gordon Monahan, erklärte den "Spätverkauf" zum "Ersatzgesamtkunsterk": Künstlerin und Kunstwerk arbeiten in Personalunion an der Demystifizierung der Hochkultur. Nachfolgeinstallation wurde der erste "Schmalzwald" im Praterfoyer, heute wohnt der Schmalzwald als "Bauhütte Gemütlichkeit" in der Schlegelstraße. Auch dort wuchert der Kitsch ungehemmt, doch verglichen mit der Funny Farm herrscht sogar hier Leere.

Schon Kikaukas erste "Funny Farm" im kanadischen Farmhaus ihrer Eltern entstand in einer Art Wahn. "Ich war besessen von Farben", erklärt die Künstlerin. Ein Raum versammelte Dinge in Beige, ein anderer erstrahlte in Türkis, ein dritter in Rosa. Seitdem mutieren alle ihre Wohnorte zu temporären Kitschtempeln. Ihre Sammelbesessenheit erklärt sich die selbsterklärte "collect-o-hollic" übrigens so: "Ich finde keine Dinge, die Dinge finden mich." Das tun sie auf Flohmärkten, Schrottplätzen und Sperrmüllhalden.

Berliner Weltmuseum

Wenn Flohmärkte die Freilichtmuseen der Popkultur sind, dann ist Laura Kikauka deren selbsternannte Kuratorin. Die Funny Farm, die im August als Teil der Kurt Schwitters-Ausstellung "Aller Anfang ist MERZ" für das Hannoveraner Sprengel-Museum nachgebaut wird, muss dann soetwas wie ihr Berliner Weltmuseum sein.Die Austellung "Heimat Kunst" zeigt vom 7. April bis zum 2. Juli eine Installation von Laura Kikauka im Haus der Kulturen der Welt: John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin. Dienstag bis Sonntag 11 - 19 Uhr. Zur Eröffnung am 6. April (ab 18 Uhr) spielt die Schmalzwald-Combo "Fuzzy Love" um 20 und 22.30 Uhr.

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