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Berlin: Legendärer Legionär

Der Held: aus Bronze und Legenden. Niemand hat je all die Menschen gezählt, die zu ihm aufschauten, aber der Blick des Jünglings, der aus dem Mantel seiner Geschichte hervortritt, ging und geht über sie hinweg und verliert sich in der Ferne.

Der Held: aus Bronze und Legenden. Niemand hat je all die Menschen gezählt, die zu ihm aufschauten, aber der Blick des Jünglings, der aus dem Mantel seiner Geschichte hervortritt, ging und geht über sie hinweg und verliert sich in der Ferne. Jeder ist klein unter dem großen Soldaten mit dem Kind im Arm und dem Schwert, das das Hakenkreuz zerteilt. Der dreizehn Meter hohe Rotarmist auf dem Hügel des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park macht es jedem Schreiber schwer, nicht ins Pathos zu entgleiten: "Ernst, voll gesammelter Ruhe und Kraft, das Schwert gesenkt, doch bereit, den Frieden zu verteidigen, blickt der junge Soldat über das zertretene Hakenkreuz hinweg", schreibt ein Ost-Berliner Brockhaus-Stadtführer von 1966. "Auf den Armen trägt er ein deutsches Kind, eines von vielen, die Sowjetsoldaten mit Einsatz des eigenen Lebens während des Kampfes gerettet haben".

In den alten Zeiten haben wir kaum hinterfragt oder bezweifelt, was sich an Legenden um den Kämpfer rankte. Er war da, symbolisierte Kinderfreundlichkeit und Sieg über den Faschismus. Er hatte auch ein bisschen Kunst dabei; welcher Rotarmist benutzte je ein Schwert? Und: Er steht auf einem Hügel, unter dem 200 Tote liegen, die 1945 beim Kampf um und in Berlin gefallen sind, und ringsum, auf dem großen Areal des Ehrenmals, ruhen 4800 zumeist junge Menschen, von denen die Inschrift am Eingang sagt: "Ewiger Ruhm den Helden, die für die Freiheit und Unabhängigkeit der sozialistischen Heimat gefallen sind". Dies war der rechte Ort für Heldenverehrungen mit sozialistischen Brigaden und Jungen Pionieren, mit Kranzniederlegungen, Fahneneiden, Ehrenkompanien, Trauermusiken, Fackelspalieren, Trommelwirbeln: Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin.

Am 8. Mai 1949 war das Mahnmal eingeweiht worden, mitten im Kalten Krieg, kurz vor dem Ende der Blockade. Diese Zeitung berichtete darüber in acht Zeilen unter der Überschrift "Russisches Symbol im Herzen Europas". Otto Grotewohl hatte der Meldung nach versprochen, dass die SED "den Schutz des Denkmals übernehmen und weiterkämpfen" werde, wenn die Russen Deutschland verlassen.

Bekanntlich dauerte das. Dieser Tage nun starb, wie gemeldet, das Vorbild für den Bronze-Riesen: Nikolai Massalow wurde in einem Dorf in Sibirien 79 Jahre alt, und wir fragen, wie das damals war mit dem Kind und dem Denkmal und mit den echten und falschen Helden.

Massalow war wahr. Der Obersergeant vom 220. Gardeschützenregiment hatte am 30. April 1945 im Kugelhagel zwischen den Frontlinien nahe dem Landwehrkanal unter der Potsdamer Brücke ein dreijähriges Mädchen gerettet, das neben einer toten Rot-Kreuz-Schwester saß und weinte. "Diese Geschichte ist verbürgt, alle anderen konnten wir weder ermitteln noch lokalisieren", sagt der Direktor des Deutsch-Russischen Museums Karlshorst, Peter Jahn. Bildhauer Wutschetitsch hatte wohl anfangs erste Skizzen mit dem Original-Sergeanten gemacht, dann aber mit einem anderen Modell gearbeitet: künstlicher Held, reale Tat. Ursprünglich wollte man dem Soldaten eine Maschinenpistole umhängen, und zuvor gab es Pläne, Stalin auf den Sockel zu stellen. Der Diktator aber soll gesagt haben, der Soldat sei wichtiger. Manche entdecken indes in dem Kämpfergesicht Züge des jungen Josef Wissarionowitsch - wer weiß.

Bis vor kurzem war auf einer Gedenktafel nahe der Spree in Treptow ein ganz anderer Held verewigt: Obersergeant Trifon Lukjanowitsch. Der Schriftsteller und Kriegskorrespondent Boris Polewoi hatte ihn, wie sich nach langen Recherchen herausstellte, erfunden. Es gab ihn ebenso wenig wie eine "Eisenstraße", in der sich die Rettung abgespielt haben soll. Aber der Name geriet, weil es so schön passte, ins Poesiealbum der Zeitgeschichte, noch dazu Polewoi den Helden nach seiner Tat sterben ließ. Inzwischen steht die Tafel mit der falschen Würdigung im Treptower Heimatmuseum; an der Potsdamer Brücke wäre genügend Platz für die richtige ...

Übrigens kann sich der Senior-Chef der renommierten Bildgießerei Hermann Noack noch genau daran erinnern, wie er 1949 als 17-Jähriger in den Bronzemann geklettert ist, um die Einzelteile mühsam zusammenzufügen. Das Gipsmodell des Denkmals war schon fertig, 1:1, aber den Guss im West-Berliner Friedenau verhinderte die Währungsreform - die Russen konnten die Sache nicht mehr bezahlen.

So floss die Bronze in Leningrad, der Soldat kam zerlegt nach Treptow, und die Noacks setzten ihn zusammen, damals, neunundvierzig, als der Tagesspiegel neben der kurzen Denkmals-Nachricht mitteilte, was gerade zur Verteilung eingetroffen war: "Ein Doppelstück Körperseife auf Abschnitt 40 der Seifenkarte, ein Stück Rasierseife auf Abschnitt P der Männer-Seifenkarte und drei Schachteln Zündhölzer auf Abschnitt 71 des 6. Haushaltausweises".

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