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Lehrerstreik in Berlin: „Mir erschließt sich dieser Streik nicht“

In Berlin streiken diese Woche wieder die angestellten Lehrer. Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles spricht in einem Interview über das aus seiner Sicht unverantwortliche Handeln der GEW – und die Fehler früherer SPD-Senatoren.

Rund 370 Schulen waren Ende April vom Streik betroffen. Diese Woche droht der nächste Streik – sogar mehrtägig. Offenbar reicht den Lehrern nicht, was der Senat ihnen im Tausch gegen die Arbeitszeitkonten angeboten hat.

Die GEW streikt ja nicht für konkrete Verbesserungen wie zum Beispiel die von uns angebotene Altersermäßigung, sondern für eine eher abstrakte Forderung nach bundesweiter tariflicher Absicherung der Lehrerbezahlung. Das ist leider eine Forderung, die auf die Bundesebene zur Tarifgemeinschaft der Länder gehört. Wir legen aber auch ohne tarifliche Absicherung unwiderruflich rund 45 Millionen Euro für Berufseinsteiger drauf. Das sind bis zu 4700 Euro Einstiegsgehalt. Wir führen für rund 20 Millionen Euro eine Altersermäßigung für Lehrkräfte ab 58 ein, die über vergleichbare Regelungen in Brandenburg hinausgeht. Mir erschließt sich dieser Streik nicht!

Aber die Altersermäßigung hätte sowieso kommen müssen, weil Berlin als einziges Bundesland diese Vergünstigung nicht bietet.

Aus finanzieller Sicht war und ist die Gewährung von zwei Stunden Arbeitszeitverkürzung für eine besondere Berufsgruppe in Berlin keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Angesichts der vielen langzeiterkrankten Lehrkräfte und der objektiv hohen Belastung sehen wir aber tatsächlich die Notwendigkeit, die Lehrer zu entlasten. Mit den zwei Stunden Unterrichtsermäßigung liegt Berlin dann im oberen Bundesdurchschnitt.

Am Tag vor dem Streik am 23. April hat Senatorin Scheeres den Lehrern zwei zusätzliche Präsenztage am Ende der Sommerferien verordnet. Wer schreibt ihr so etwas taktisch Unkluges ins Konzept?

Die Präsenztage wurden von den Schulleitungen selbst gefordert. Ich fand es daher nur richtig und ehrlich: Vor den Streikmaßnahmen sollte klar sein, was das Land zu leisten bereit ist. Es geht darum, dass Berlin für Lehrkräfte Bedingungen bietet, die – jenseits der Beamtenfrage – mit anderen Bundesländern vergleichbar sind. Dass die Vergleichbarkeit manchmal auch eine Anpassung in die andere Richtung bedeuten kann, zeigt sich an den Präsenztagen. Bislang mussten die Berliner Lehrkräfte nur am letzten Ferientag in der Schule sein, jetzt sollen’s die letzten drei Ferientage sein. Auch das ist Bundesdurchschnitt und es macht zudem schulorganisatorisch Sinn, indem es gezielte Fortbildung, Schulentwicklungstage und frühzeitige Fachkonferenzen ermöglicht und damit den Schulanfang entlastet.

Die Arbeitszeitkonten dienten vor zehn Jahren – unter der Regie von Thilo Sarrazin und Klaus Böger – als Teilkompensation für eine Arbeitszeiterhöhung. Jetzt werden die Konten abgeschafft, aber die Arbeitszeit bleibt, wie sie ist. Warum senken Sie sie nicht auf den Stand von 2003?

Weil die Welt – auch die der Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte bundesweit – sich weiterentwickelt hat. Mit den geplanten Neuregelungen liegen die Berliner Lehrkräfte hinsichtlich der Arbeitszeit, Pflichtstunden und Altersermäßigung jetzt im bundesweiten Durchschnitt. Aber ich gebe zu: 2003 erfolgte für die unterschiedlichen Laufbahnen und Schularten eine unterschiedliche Arbeitszeiterhöhung, die wurde dann auf sehr komplizierte Weise kompensiert, für einen Teil der Lehrkräfte galt noch die Altersermäßigung fort, für einen anderen Teil der Lehrkräfte wurde Jahre später die Arbeitszeit abgesenkt ... im Ergebnis wurde ein krudes Paket geschnürt, ohne dass man heute noch genau erklären kann, wer da was wann vereinbart hat.

Wie meinen Sie das?

Wir sind wohl das einzige Bundesland, das es geschafft hat, eine Arbeitszeiterhöhung so zu strukturieren, dass sie zehn Jahre lang wehtut. Seit zehn Jahren hört man „Böger-Betröger“.Wir haben eine Arbeitszeiterhöhung verschleppt und ein völlig verworrenes System von Ansprüchen und Kompensationen entstehen lassen. Da muss man irgendwann einen Schnitt machen.

Das ist aber nicht das einzige Ärgernis aus Lehrersicht. Berlin verbeamtet als nahezu einziges Bundesland seine Lehrer nicht. Auf das ganze Arbeitsleben bezogen büßen die Lehrer eine hohe Summe ein, weil sie mehr Geld für ihre Alterssicherung ausgeben müssen.

Nicht nur bei den Lehrkräften entsteht durch den unterschiedlichen Status von Angestellten und Beamten ein Einkommensunterschied, der sich zwingend aus systemischen Gründen der unterschiedlichen Kranken- und Sozialversicherung ergibt. Das haben wir im gesamten öffentlichen Dienst, in Berlin und in allen anderen Ländern. Die wichtigsten Unterschiede im Entgelt gleichen wir dagegen mit den genannten 45 Millionen Euro für Zulagen aus, um ein attraktives Angebot für Berliner Lehrkräfte zu unterbreiten. Mehr können wir nicht tun ohne die Tarifgemeinschaft der Länder, an die wir gebunden sind. Es waren ja die Gewerkschaften, die unsere Rückkehr in die Tarifgemeinschaft gefordert haben. Dann sollten sie auch die Konsequenzen akzeptieren. Immerhin haben sie dank der Tarifgemeinschaft gerade erst einen Gehaltszuwachs von 5,6 Prozent bekommen.

Aber viele Lehrer fühlen sich erschöpft, und die Verdoppelung der Zahl von Dauerkranken spricht ja auch für sich.

Es ist ja nicht so, dass alle so viel mehr unterrichten als vor zehn Jahren. Den Sekundarschullehrern wurde bereits eine von den beiden Stunden erlassen, die 2003 dazugekommen waren. Die Grundschullehrer unterrichten nur eine halbe Stunde mehr pro Woche. Wie gesagt: Das Berliner Stundensoll entspricht dem bundesweit Üblichen.

Aber die Belastungen sind besonders hoch – vor allem durch den hohen Anteil schwieriger Schüler und die vielen Reformen.

Das ist aber nicht nur eine Ressourcenfrage. Wir haben Lehrer aus Mitte gefragt, was sie besonders anstrengt. Dabei kam heraus, dass es eben nicht nur um die Zahl der Unterrichtsstunden und die Größe der Klasse geht, sondern in starkem Maße auch um die Zusammensetzung der Klasse und um die Zahl der verhaltensauffälligen Kinder, die eine höhere Inanspruchnahme bedeuten.

Was folgt daraus?

Wir möchten die Befragung gern auf ganz Berlin ausweiten. Dann können wir genauer sagen, wie sich das Gesundheitsmanagement verbessern lässt. Dann rücken je nach Belastungsfaktor die Fragen von Rückzugsräumen, Schulstationen oder Schallschutz in den Vordergrund.

Diese Woche wird wieder gestreikt, obwohl es mündliche Abiturprüfungen, Nachschreibeklausuren und Vergleichsarbeiten für die Drittklässler gibt. Wie wollen Sie sicherstellen, dass Schüler durch den Streik keinen Nachteil erleiden?

Die GEW behauptet ja, dass sie den Warnstreik so gestalten wird, dass keine Nachteile für Schülerinnen und Schüler entstehen. Das ist eine durchsichtige Doppelstrategie, denn andererseits verweigert sich die GEW bislang dem Abschluss sogenannter Notdienstvereinbarungen, mit denen Schulleitungen und Streikleitung vor Ort Härten insbesondere bei der Durchführung der mündlichen Abiturprüfungen vermeiden könnten. Zudem gehen die Schülerinnen und Schüler in die kommende Prüfungswoche und wissen nicht, ob ihre Schule betroffen ist und ihre Abiturprüfungen ungestört stattfinden können. Die GEW-Spitze selbst verkündet „starke Beeinträchtigungen“. Diese Strategie ist auf maximale Verunsicherung ausgerichtet. Das ist unverantwortlich gegenüber den Prüflingen. Ich hoffe sehr, dass die Lehrkräfte vor Ort sich ihren Schülerinnen und Schülern stärker verpflichtet fühlen als den GEW-Funktionären.

Die Fragen stellte Susanne Vieth-Entus

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