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Leserdebatte: Letzte Runde, bitte!

Spät trinken, spät feiern, spät aufstehen. Noch später trinken, noch später feiern, noch später aufstehen. Berlins Nachtleben beginnt erst am frühen Morgen und vernichtet damit ganze Tage. Finden auch Sie, dass Berlin deshalb eine Sperrstunde bräuchte? Diskutieren Sie mit!

Von Julia Prosinger

Ich kann nicht mehr. Liebe Berliner Stadtverwaltung, liebe Clubbetreiber: Dies ist ein Hilferuf!

Ich bin erst vor ein paar Wochen wieder nach Berlin gezogen und hatte ganz vergessen, mit welch miesen Tricks sie einen hier dazu bringen, die Nächte durchzutanzen. Sie laden berühmte DJs ein, mixen gute Getränke (viel mit Rhabarber in letzter Zeit), sie bauen Labyrinthe in Clubs, schießen Schaum aus Fontänen. Aber vor allem: Sie hören einfach nicht auf.

Das haben die Berliner Heinz Zellermayer zu verdanken, einem Gastronomen, der den Alliierten Ende der 40er Jahre die Sperrstunde ausredete. Über die Jahre hat das einen gefährlichen Mechanismus in Gang gesetzt: Vor Mitternacht braucht man in keiner Bar aufzutauchen, vor zwei in keinem Club. Und weil alle nachts zuvor schon lange unterwegs waren, beginnen die Partys immer später. Wenn ich in Berlin ausgehen will, bin ich zum Wachbleiben verdammt. Ich würde ja schon um zehn Uhr abends tanzen wollen, allein: Die Stadt wartet dann noch ab.

Notgedrungen warte auch ich und tanze schließlich durch die Torstraße, wenn der Sonntagsbäcker bereits wieder zumacht. Ich sitze mit verschmierter Wimperntusche in der S-Bahn neben Familien auf dem Weg zum Drachen-steigen-Lassen. Immer ist es taghell und die Vögel zwitschern nervtötend. Samstags schlafe ich, bis die ersten Bundesligaspiele rum sind, sonntags wache ich erst zum Tatort wieder auf.

Ehrlich gesagt stelle ich mir meine Wochenenden anders vor. Vor meiner Haustür gibt es einen Markt mit würzigem Bergkäse und Tulpen in allen Farben. Sagt man jedenfalls. Ich selbst schaffe es nie dahin. Sonntags draußen frühstücken, Kanu fahren – das alles würde ich gerne tun. Es wird schließlich Sommer.

Warum kann es die berühmten DJs, die guten Getränke und die Schaumfontänen nicht schon um 22 Uhr geben? Früh trinken, früh tanzen, früh schlafen. Das ist überhaupt die Lösung: Wir brauchen eine Sperrstunde.

„Wir sind in Berlin“, heißt es, wann immer ich mit solchen Forderungen nach regulierter Maßlosigkeit ankomme. Als wäre frühes Ausgehen zwangsläufig schlecht! Meine ersten Partyerfahrungen machte ich mit 16 im englischen Brighton. Wie wünsche ich mir diese Nächte zurück! Um 23 Uhr schlossen die Pubs, wenn man Glück hatte, schlossen sie einen mit ein. Dieses „Lock-In“ war ein Zeichen von Vertrauen des Barmanns, es hatte etwas Verschwörerisches, man konnte nicht damit rechnen, es war nicht selbstverständlich. Die Nacht war endlich und gerade dadurch so reizvoll. Denn auch die Clubs machten schon um zwei Uhr zu und wir uns auf den Heimweg. Es war dunkel, wir kletterten auf Gerüste und badeten nackt im Meer. Die Nacht war ja noch lang. Und der nächste Tag war noch ein richtiger Tag, an dem man Fußball schauen oder in die Schule gehen konnte.

Wenn Berlin es einem nachts wenigstens schwer machen würde! Wie Sankt Petersburg, wo die Brücken über der Neva irgendwann hochgehen, so dass man nicht nach Hause kann. Wer dort durchmacht, muss es sich vorher gut überlegt haben. Wie New York, London und Paris, wo überall irgendwann Schluss ist. Berlin aber ist ständige Verheißung. Es fehlen nur noch die kostenlosen Shuttle-Busse vom Berghain ins Kater Holzig.

Inzwischen denke ich, dass die späten Partys nur Ausdruck von Berlins Minderwertigkeitskomplex sind. Wo nun schon die Mieten steigen und die Freiräume schwinden, kämpft die Stadt darum, wenigstens diesen einen Superlativ zu halten: Festplatz für die längste Party der Welt zu sein. Freitagnacht bis Montagmittag – schaut her, Völker dieser Welt, wir feiern wilder als alle Südländer!

Nun ist seit 2005 England auch nicht mehr das, was es einmal war. Die Queen verkündete die Aufhebung der Sperrstunde, die 1915 nur eingeführt worden war, um die Kriegsanstrengungen zu stärken. Dabei hat die Queen, soweit man weiß, nur einmal im Leben einen Pub besucht. Die, die in Berlin was zu sagen haben, werden da mehr Erfahrung haben mit Kneipen, Bars und Clubs. Gerade darum wäre es nur folgerichtig, wenn sie die Sperrstunde für Berlin wieder einführen würden. Bitte, Herr Wowereit! Damit ich tanzen und trotzdem Tulpen kaufen kann.

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