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Lesung: Live aus dem Klassenzimmer

Stephan Serin ist Berliner Lehrer und liest heute aus seinem Buch, in dem er von seinem Leben zwischen Lehrerzimmer, Elternabend und Klassenraum berichtet.

Seine Schüler geben – wenn überhaupt – nur Antworten, die aus einem Wort bestehen, und sind, was Kampfkünste und Waffen angeht, viel besser vorbereitet und ausgestattet als der neue Referendar. Dessen Hauptseminarleiter hat etwa zu Feuerzangenbowlen-Zeiten selbst das letzte Mal unterrichtet. Die Kollegen glänzen mit Abwesenheit, Burnout oder damit, dass sie eine Schülerin ein Referat über ihre Krankheit Neurodermitis halten lassen. Und der Schulleiter hält sich am liebsten aus allem raus.

Der Ich-Erzähler in Stephan Serins Buch „Föhn mich nicht zu. Aus den Niederungen deutscher Klassenzimmer“ (Rowohlt, 9,95 Euro) hat es als Referendar am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Mitte alles andere als leicht. So wundert es nicht, dass er den stärksten Schüler der Klasse mit guten Noten besticht und schnell wegrennt, wenn es bei der Pausenaufsicht Probleme gibt. Wundern darf man sich auch nicht, dass dieses Gymnasium in keinem Telefonbuch steht, denn es ist erfunden. Auch die ironisch überzeichneten Geschichten sind teils ausgedacht, teils spiegeln sie Erlebnisse, die andere Referendare dem Autor erzählt haben. Wie die Geschichte von der Pistole, mit der ein Schüler eine Lehramtsanwärterin bedroht, worauf der zuständige Rektor dafür plädiert, „dem Schüler doch noch mal eine Chance zu geben“.

Nur einen kleinen Teil der Geschichten hat der Sozialkunde- und Französischlehrer Serin, der heute an einer privaten Berufsschule unterrichtet, in seinem Referendariat selbst erlebt. Zum Beispiel, dass der Tipp des Ausbilders, respektlose Klassen mit ostentativem Zeitungslesen zu kurieren, überhaupt nicht funktioniert hat: Die Schüler haben sich vom Anblick des Lehrers hinter der Zeitung bei ihren privaten Beschäftigungen nicht stören lassen. „Das war an einem Gymnasium im Zentrum Berlins, auf dem viele Schüler waren, die keine Gymnasialempfehlung hatten“, sagt Serin.

Da der Ich-Erzähler so heißt wie Serin und im Buch fast nie eindeutig ist, was Realität und was Satire ist, wurde der 32-Jährige mit teils heftiger Kritik konfrontiert. Manche nehmen das Buch für bare Münze. Tatsächlich hat Serin die Geschichten während seines Referendariats für die Lesebühne Chaussee der Enthusiasten verfasst, für die der Familienvater aus Friedrichshain seit langem schreibt.

„Das Referendariat ist eine große Leidenszeit, und Humor ist eine therapeutisch wirksame Medizin“, sagt Serin, der mit seiner ruhigen Art, der Brille, dem Wollpullover und seiner Vorliebe für Hip-Hop – die Serin mit seiner Hauptfigur teilt – wie ein Lehrer wirkt, dem die Schüler zugleich vertrauen und den sie respektieren können. Am meisten Freude an seinem Beruf mache ihm die Möglichkeit, junge Menschen begleiten und formen zu können, sagt Serin. Auch wenn die Sprach- und Aufmerksamkeitsdefizite vieler Schüler, ehrgeizige oder gleichgültige Eltern und eine Wochenarbeitszeit von bis zu 70 Stunden bei einer vollen Stelle den Lehrern viel abverlangten und manche Schüler selbst mit der besten Pädagogik nicht erreicht werden könnten. „Das Scheitern gehört zu diesem Beruf eben dazu, und deshalb sollte man über sich selbst lachen können“, meint Serin. Das größte Problem seien auch nicht die Schüler, sondern das Schubladendenken der Ausbilder gewesen. Oft habe man nur negatives Feedback erhalten.

Den Zusammenhang von Schule und Scheitern hat auch Oliver Naatz schon früh erfahren, als Gymnasiast ist er zweimal sitzen geblieben. „Einmal, weil ich faul war, danach, weil die Lehrer mir als Sitzenbleiber keine Chance mehr gaben“, sagt Naatz. Als der Panini-Verlag anfragt, ob der 46-jährige „Zitty“-Autor, Mad-Übersetzer und Comiczeichner einen Comicroman zum Thema Schule verfassen wolle, sagt Naatz sofort zu. Er lässt sich aber nicht dazu verleiten, in „Knallberts Tagebuch. Keine Gnade für Schüler“ (Panini, 12,90 Euro) nun endlich mit den Lehrern abzurechnen, sondern nimmt, stark überzeichnet, besonders die Schüler aufs Korn. „Ich mag den absurden Humor der Simpsons oder der Serie Family Guy“, sagt Naatz, der sich mit Knallbert „eine heitere und bizarre Welt schaffen wollte“. Der Kreuzberger sitzt bereits an einer Fortsetzung, in dem Herr Knallbert mit seiner Klasse eine Weltreise in die Länder der Pisa-Studie unternimmt.

Und auch Stephan Serin arbeitet schon an Teil zwei seiner Schulgeschichten, in dem der Weg des Ich-Erzählers zwischen Referendariat und Verbeamtung erzählt werden soll. „Um verbeamtet zu werden, wird er dann nach Hamburg wechseln“, verrät Serin. Denn das machten viele in Berlin ausgebildete Lehrer schließlich auch so.

Stephan Serin liest am heutigen Montag ab 20.30 Uhr in Lehmanns Buchhandlung aus „Föhn mich nicht zu“. Hardenbergstraße 5, Charlottenburg. Eintritt sechs Euro. Tel. 6179110, www.lehmanns.de.

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