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Da können die Friedhöfe wie hier der Alte Garnisonfriedhof in der Rosenthaler Straße noch so schön sein: Für viele Zugereiste ist die Vorstellung, in Berlin begraben zu werden, eine mehr als seltsame.

© Doris Spiekermann-Klaas

Letzte Ruhe in Berlin: Hier möchte ich nicht begraben sein

Kein Ort scheint ungeeigneter für eine derart grundlegende Angelegenheit wie die letzte Ruhestätte als Berlin. Oder wer möchte sich im Tod einer Stadt ausliefern, (in) der alles egal ist?

Den Weg von der Wiege ins Grab stellt der Mensch sich gern als Kreis vor, als Rundwanderung, bei der ein Leben sinnbildlich an sein Ende kommt, indem es den Anfang berührt. Dieses Bild verströmt in seiner Geschlossenheit etwas Sinnhaftes und Tröstliches.

Für eine Stadt wie Berlin, Topstadt der Zugereisten, allerdings ergibt das perspektivisch Grabflucht als Massenphänomen. Andeutungsweise gibt es die bereits, den ersten Friedhöfen gehen die Toten aus. „Möchtet ihr in Berlin begraben sein?“, als Frage neulich in eine Runde gerufen, ergab multiples „Nein!“ als Antwort. Und wo stattdessen? Da referierten die Gefragten ihre Herkunftsorte in Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt, Friesland. Sogar diejenigen, die schon zu Mauerzeiten nach Berlin kamen und hier Kinder großgezogen haben, lehnten es zunächst ab, hier begraben zu werden (revidierten das aber später mit Blick auf eben jene Kinder wieder).

Berlin, die Stadt des Vorübergehenden, des Nicht- und Niefertigen, der großen Planlosigkeiten. Kein Ort scheint ungeeigneter für eine derart grundlegende und endgültige Angelegenheit wie die letzte Ruhestätte.

Der Tod ist zu ernst für Berlin. Man hat hier keinen Sinn für Ewiges, für etwas in seiner unendlichen Einmaligkeit so Unerhörtes wie den Tod, und auch nicht für die Würdigkeit von Friedhöfen. Nein, in Berlin vergammeln sogar städtische Ehrengräber, lassen bräsige Einheimische ihre unangeleinten Köter auch zwischen den Grabstätten usw. ...

Das ist die B-Seite jener Platte, auf der das leichte Ankommen, der schnelle Neustart in Berlin besungen wird. Dass man hier sein kann, wie man ist, weil es nämlich vollkommen egal ist, ob man da ist oder nicht. Das kann ein schönes Gefühl sein, solange man lebt. Aber wer möchte, tot und begraben, einer Stadt ausgeliefert sein, der er ebenso egal ist? Und deren herausragendste Qualität eben dieses Egal-Gefühl ist?

Ich nicht.

Der Wunsch, am Ende den Anfang zu berühren

Da können die Friedhöfe wie hier der Alte Garnisonfriedhof in der Rosenthaler Straße noch so schön sein: Für viele Zugereiste ist die Vorstellung, in Berlin begraben zu werden, eine mehr als seltsame.
Da können die Friedhöfe wie hier der Alte Garnisonfriedhof in der Rosenthaler Straße noch so schön sein: Für viele Zugereiste ist die Vorstellung, in Berlin begraben zu werden, eine mehr als seltsame.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wie viele Zugereiste in Berlin begraben sind, lässt sich so nicht in Erfahrung bringen, dafür gibt es keine Formulare. Wie viele Zugereiste sich in ihren alten Heimaten beerdigen lassen, auch nicht. Es gibt Bestattungsunternehmer, die türkischen oder arabischen Familien die Rückführung ihrer Toten in die Herkunftsländer anbieten. Auch da zeigt sich der Wunsch danach, am Ende den Anfang zu berühren. Es gibt Jahrzehnte nach Weltkriegsende noch Umbettungen von Soldatenknochen, die nicht länger in der Fremde liegen sollen.

Berlins Egalheit ist nichts für Tote

In der Frage nach der letzten Ruhestätte offenbart sich ein großes Heimatbedürfnis. Und es zeigt sich, dass Berlin dieses Heimatbedürfnis nicht oder kaum befriedigt. Die ganze Egalheit, berlinerisch auch Wurschtigkeit genannt, ist allein auf ein lebendes und abwehrfähiges Publikum gemünzt. Hier kann man etwas werden, sein Glück versuchen, Start-ups gründen oder winzige Cafés eröffnen, man kann sich mit Niedriglöhnen ein lustiges Leben organisieren, tanzen gehen und fesch aussehen. Und am besten ist man dafür jung und gesund und hat gute Nerven. Sonst gerät die Stadt schnell zur Zumutung. Was auch an der extrem hohen Zahl der Zugereisten liegt, die von Berlin nehmen, was sie kriegen können, ohne das Gefühl zu entwickeln, sie hätten dafür auch etwas zurückzugeben. Ist doch nicht ihre Stadt! Es ist diese Beziehungslosigkeit, die den Gedanken daran, sich hier eines Tages in der Erde versenken zu lassen, so leichtfertig wirken lässt, als ließe man den Anhalter ans Lenkrad und mache selbst ein Nickerchen auf der Rückbank.

Getrost in Berlin begraben werden wohl vor allem jene Menschen, die aus Berlin sind, die hier Eltern, Tanten, Onkels – oder Kinder (siehe vorne) – haben. Sie wissen darum, dass sie nicht egal sein werden dort unten in ihrem Grab, dass da oben noch welche sind, die Gleichgültigkeiten kompensieren – aber welcher Zugereiste kann darauf bauen?

Die meisten Zugereisten haben ihrerseits mit Zugereisten zu tun, und sie wissen nicht, wo die einst sein werden. Berlin ist gefühlt für viele ein Intermezzo, auch wenn es bereits Jahrzehnte währt, und es bleibt mit Hoffnungen verknüpft, aber die betreffen das Leben.

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