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Berlin: Licht ins Dunkel

Im Centrum Judaicum schildert eine Schau das schwierige Leben von Juden in der DDR

Im Centrum Judaicum wird jetzt ein neues Kapitel deutscher Geschichte aufgeschlagen: Es geht um das Schicksal von jüdischen Berlinern, die die Nazizeit überlebten, sich bewusst für ein Leben im Sozialismus entschieden – und von der sozialistischen Realität bitter enttäuscht wurden. „Zwischen Bleiben und Gehen. Juden in Ostdeutschland 1945–1956. Zehn Biografien“ heißt die Schau über die Periode der frühen Nachkriegszeit.

Gezeigt werden zehn Lebenswege jüdischer Persönlichkeiten, die mit ihren Erfahrungen für die repressive Politik der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise der DDR gegenüber den Juden stehen. Es sind Schicksale wie jenes von Erich Nelhans, dem Mitbegründer und ersten Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde nach 1945. Die Nazizeit hatte er im Versteck überlebt. Nachdem er jüdischen Rotarmisten über die Berliner Sektorengrenze zur Flucht nach Palästina verholfen hatte, wurde er 1948 vom sowjetischen Geheimdienst NKWD verhaftet. Im Februar 1950 starb Nelhans in einem sowjetischen Zwangsarbeitslager.

Er gehörte zu den wenigen Schoah- Überlebenden, die nach 1945 in den Osten Deutschlands zurückkehrten. Vielerorts waren die einst blühenden jüdischen Gemeinden fast vollständig vernichtet worden. Und doch wählten manche Juden bewusst den „ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“, weil sie hier auf ein besseres Deutschland hofften. Die SED hatte sich schließlich den Antifaschismus auf ihre Fahnen geschrieben. Nach einer Welle von Parteisäuberungen in Osteuropa, begleitet von antisemitischen Schauprozessen in Prag und Budapest, verschärfte sich jedoch die Lage auch für die Juden in der DDR. Der politische Druck trieb viele von ihnen zu Beginn der 50er Jahre in den Westen.

Wie Julius Meyer –1909 im westpreußischen Krojanke geboren, Auschwitz und Ravensbrück hatte er überlebt. Seit 1946 führte er die Jüdische Gemeinde im Ostteil Berlins und war später zudem Verbandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Als Vertreter der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) saß Meyer in der Volkskammer. Eine eigentlich unverdächtige Biografie. Doch im Zuge der Moskauer „Ärzteverschwörung“, einer letzten, groß angelegten antisemitischen Kampagne Stalins kurz vor dessen Tod im März 1953, musste auch Meyer die DDR verlassen. Er floh im Januar 1953 nach Westberlin, wie später die Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden Erfurts, Dresdens und Leipzigs.

Die Vorwürfe der SED, vor allem gegenüber jüdischen Parteimitgliedern, lauteten meist, sie seien „Agenten Zions“, eine positive Haltung zum gerade gegründeten Staat Israel nichts anderes als „jüdischer Nationalismus“. Manchmal habe aber schon allein eine bürgerliche Lebensweise gereicht, um als verdächtig zu gelten, so der Historiker Andreas Weigelt, der die Ausstellung gemeinsam mit dem Centrum Judaicum erarbeitet hat.

Doch auch Widersprüche gehören zum Bild jener Tage. So habe ausgerechnet Ulbricht, alles andere als ein Freund der Juden, schützend seine Hand über Leo Zuckermann gehalten. Zuckermann, Leiter der Präsidialkanzlei und einer der DDR-Verfassungsväter von 1949, war 1947 aus dem mexikanischen Exil zurückgekehrt. Ulbrichts Fürsprache half freilich nicht. Als „Westemigrant“ war Zuckermann vor allem den Sowjets suspekt. Nach dem Prager Slánský-Prozess wurde er als „zionistischer Agent“ diffamiert und verließ daraufhin im Dezember 1952 die DDR. An den tragischen Lebenswegen wird deutlich, wie dünn das Eis des offiziellen DDR-Antifaschismus war. Allein die Tatsache, dass die Juden überlebt hatten, weckte Argwohn. Eine offene, selbstkritische Auseinandersetzung mit der Nazizeit habe es hinter der Maske des „verordneten Antifaschismus“ kaum gegeben, so Weigelt.

„Zwischen Bleiben und Gehen“. Centrum Judaicum. 6. 4.–30. 6. Oranienburger Straße 28–30, So.–Mo. von 10–20 Uhr, Di.–Do. von 10–18 Uhr, Fr. von 10–17 Uhr. Begleitbuch von Andreas Weigelt/Hermann Simon herausgegeben.

Carsten Dippel

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