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Berlin: Lichtblicke im Problemkiez

Rund um Gesundbrunnen hat sich das Stadtbild verbessert. Doch die soziale Lage bleibt gespannt

Robert Swift kommt aus Los Angeles und fühlt sich als Cowboy. Als der EDV-Experte vor Jahren nach Berlin zog, hätte er nie geglaubt, irgendwann mal mit seiner Frau ein Lokal aufzumachen. Gar ein so exotisches wie das „five continents“ an der Hochstraße, in dem es frittierte Klapperschlangen gibt. Inzwischen schwärmt der Amerikaner von der „multikulturellen Gegend“ rund um den Gesundbrunnen. Manager Thomas Scharf vom benachbarten 4-Sterne-Hotel Holiday Inn lobt das Gesundbrunnen-Center. Es habe der Gegend Aufschwung gebracht, und wenn erst der Fernbahnhof fertig sei, werde Gesundbrunnen zum Nord-Kreuz von Berlin, „dann ist das hier erst richtig interessant“.

Vor der Wende und einem Umbau war das Hotel Jugendgästehaus. Heute übernachten hier hauptsächlich Geschäftsleute, an Wochenenden kommen mehr Touristen. „Es ist was Feines in Wedding“, sagt Scharf.

Noch ist diese Weddinger Ecke, in der einst gesundes Quellwasser gefördert wurde, von einer merkwürdigen Diskrepanz geprägt. Zum einen vermitteln das große Einkaufscenter, das wie ein Kreuzfahrtschiff in die Badstraße ragt, das hohe Hotel und die vielen hell sanierten Altbaufassaden das Bild einer heilen Welt. Die grauen Mietskasernen, die das Bild jahrzehntelang prägten und sich in vielen Köpfen festgesetzt haben, gibt es kaum noch. In der Badstraße pulsiert des Geschäftsleben zwischen Woolworth, Lidl, Pfennigland und Penny-Markt, zwischen Apotheken und Spielotheken. Aber die Gegend um den Gesundbrunnen ist mit ihren rund 18 500 Einwohnern weiterhin sozialer Brennpunkt, die Arbeitslosenquote liegt bei über 25 Prozent, der Sozialhilfeanteil bei 20 Prozent, die Ausländerquote beträgt 40 Prozent, jeweils Spitzenwerte im Bezirk Mitte. In den Seitenstraßen stehen viele Läden leer.

Dutzende von Eckkneipen, die lange so typisch waren für diese Stadtlandschaft, haben in den letzten Jahren dichtgemacht. Die Wirte liefern sich angesichts fehlender Kunden einen scharfen Existenzkampf, im „Hexenkessel“ an der Bellermannstraße kostet der halbe Liter Schultheiss zwei Euro, die Gäste sagen, das sei mit am billigsten hier. „Vereinslokal Hertha BSC – alte Herren“ steht am Fenster, doch die junge Wirtin hat hier alte Hertha-Herren nie gesehen.

Hertha, der einstige Gesundbrunnen- Verein, ist Vergangenheit, das frühere Clubhaus eine Ruine. „Ich habe die Schnauze voll von der Gegend“, schimpft Hans-Jürgen ins Glas. Jeder kennt ihn, seit Jahren läuft er nur im Hertha-Trikot herum. Warum er die Gegend nicht mag, will er nicht laut sagen. Leise auch nicht. Nun zieht er nach Neukölln.

Christian van Lessen

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