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Berlin: Lichter über der Oder verbanden das alte mit dem neuen Europa

Auch wenn sich nur wenige Polen beteiligten – die Bürger aus Frankfurt und Slubice eint die Sorge um den Frieden

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) / Slubice. Ginge es nach Donald Rumsfeld, dann müssten Gottlieb Kaschube und Kazimierz Kwiatkowski Welten trennen. Denn der eine lebt nach Ansicht des amerikanischen Verteidigungsministers im „alten“, der andere im „neuen“ Europa.

In Wirklichkeit trennt die beiden Männer nur die Oder zwischen Frankfurt und Slubice. Doch am ersten Abend des Krieges verbindet der Grenzfluss polnische und deutsche Friedensdemonstranten – gemeinsam stehen Kaschube und Kwiatkowski auf der Grenzbrücke. „Wir kennen uns seit zehn Jahren“, sagt der Deutsche, „und ich habe Kazimierz gesagt, dass diese Demonstration stattfindet.“ Kwiatkowski nickt heftig: „Ich bin im Gegensatz zur Regierung in Warschau gegen den Krieg und ich weiß, dass viele Polen so denken. Aber die meisten Menschen in Slubice wussten nichts von dieser Aktion.“

Pfarrer Reinhard Schülzke vom Frankfurter Friedensnetz kann seine Enttäuschung nicht ganz verbergen. Zwar haben sich mehr als 500 Menschen mit Kerzen auf den Weg nach Slubice gemacht, so dass das „alte“ und das „neue“ Europa kurz nach 19 Uhr tatsächlich durch eine Lichterkette über die Oder verbunden sind. Aber in Slubice warten nur wenige polnische Kriegsgegner auf die gleichgesinnten Nachbarn. Darunter eine etwa 70-jährige Frau: „Viele Polen in meinem Alter sind besorgt. Wir haben im letzten Krieg alles verloren, sind aus Ostpolen hierher vertrieben worden, wo wiederum Deutsche ihre Heimat verlassen mussten.“

Der 24-jährige Pawel Wazniak ist sicher, dass sich viel mehr Polen an der Lichterkette beteiligt hätten. Es werde gemunkelt, dass die Slubicer Stadtverwaltung die entsprechende Information aus Deutschland nicht weitergegeben hat – aus Rücksicht auf die offizielle Haltung der polnischen Regierung. „Ich finde es auch nicht gut, dass jetzt alle Amerika kritisieren“, sagt Wazniak, „denn irgendetwas musste ja passieren, um Saddam zu entwaffnen.“ Sein Freund Urban Grzegorz ist anderer Meinung: „Den Krieg braucht hier niemand. 20 Prozent der Menschen in Slubice sind arbeitslos. Mit den 22 Millionen Dollar, die unsere Regierung aus der Staatskasse für diesen Krieg zur Verfügung stellt, hätte man viele Jobs schaffen können.“

Der 12-jährige Bartosz Trochymiak schaut mit leuchtenden Augen auf die vielen gleichaltrigen Demonstranten, die Plakate und Kerzen tragen: „Ich würde gerne mitmachen, weil sich dieser Krieg über die ganze Welt ausbreiten kann.“ In seiner Schule hat heute niemand über den Kriegsbeginn gesprochen, erzählt der Junge, nur in der Religionsstunde wurde für den Frieden gebetet.

Jacek Rosotowski (39) ist extra aus dem 50 Kilometer entfernten Kostrzyn (Küstrin) gekommen. Er gehört zur Organisation „Stopp dem Krieg“ aus Warschau und ist sicher, dass es auch in Polen viele Friedensdemonstrationen geben wird: „Jetzt sind Semesterferien“, sagt er. „Wenn erst die Studenten der Viadrina und des Collegiums Polonicums zurück sind, dann werden auch hier viel mehr Menschen demonstrieren.“

Inzwischen fordern polnische Polizisten die Teilnehmer der Lichterkette auf, die Straße wieder freizugeben – zur Freude der deutschen Tank-Touristen, die in ihren Autos warten. Gottlieb Kaschube und Kazimierz Kwiatkowski laufen zurück nach Frankfurt. Dort sammeln sich deutsche und polnische Demonstranten auf dem Brunnenplatz und singen gemeinsam „We shall overcome“. „Die Regierungen sind das eine“, sagt Kaschube, „aber die Menschen in Frankfurt und Slubice haben ähnliche Probleme. Und die sind nur im Frieden zu lösen.“

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