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Berlin: Lichterkette der Demokraten

Tausende Berliner kamen gestern zu den Veranstaltungen am Brandenburger Tor und am Alexanderplatz. Heute geht die Feier weiter

Kurz vor 22 Uhr ist an der KarlLiebknecht-Straße Höhe S-Bahnhof Alexanderplatz noch nicht viel von einer Lichterkette zu sehen. Vor einem VW-Bus steht der Berliner Kreisjugendpfarrer Christian Weber (39) und ruft mittels Megaphon die Menschen immer wieder zum Mitmachen auf: „Wir haben noch Kerzen“. Dann beginnen alle Kirchenglocken zu läuten. Und kurz nach 22 Uhr stehen sie dann tatsächlich auf der Straße: Einzeln oder in Gruppen, mit kleinen Tee- oder Windlichtern und mit Kerzen in verschiedenen Farben. Patrice Florentin (25) ist mit fünf Freunden gekommen, um ein Zeichen für Demokratie zu setzen: „Der Wille zählt“. Die 70-jährige Christiane Grutzpalk nickt: „Ich stehe hier, um zu beweisen, dass wir Demokraten zusammenhalten.

Am westlichen Ende in Spandau klafften deutliche Lücken in der Kette auf der Heerstraße. Rund 200 Menschen haben sich beiderseits der Kreuzung mit der Gatower Straße eingefunden, darunter Eltern mit Kindern und auch viele Jugendliche. Sie tragen Kerzen, Fackeln und Lampions. Als einige Teilnehmer um 22 Uhr auf die Fahrbahn treten, werden sie von einer Funkstreife über Lautsprecher zurück auf den Gehsteig gescheucht. So kann die Kette auch auf der Kreuzung nicht richtig geschlossen werden. Die Fahrzeuge rasen im gewohnten Tempo an den Teilnehmern vorbei, ein Autofahrer hupt, als ihm einige Kerzenhalter im Weg stehen.

Der Organisator der Lichterkette, Pfarrer Peter Kranz von der Spandauer Luther-Gemeinde, ist dennoch zufrieden. Trotz des ständigen Nieselregens seien rund 25 000 bis 30 000 Menschen gekommen, so seine Schätzung. „Wir haben die Kette fast überall schließen können". Lücken habe es unter anderem am Blumberger Damm und im Bereich der Deutschen Oper gegeben. Dafür hätten die Teilnehmer in der Innenstadt wie beispielsweise in der Friedrichstraße in Dreierreihe gestanden. Es sei „ein sehr friedliches und schönes Bild" gewesen.

Den ganzen Sonnabend lang hatten sich Tausende Besucher an den zahlreichen Veranstaltungen des ersten Teils des „Tags der Demokratie“ beteiligt. Sie lauschten unter anderem den Worten von Kamdisch Ahmadi (18), der mehr als einmal von rechten Schlägern verprügelt wurde seit er 1995 als Asylbewerber mit seinen Eltern aus Afghanistan nach Brandenburg gekommen ist. „Ich kann trotzdem nicht den Mund halten“, sagte Kamdisch selbstbewusst und in akzentfreiem Deutsch auf der Bühne an der Westseite des Brandenburger Tors, „wenn die mich anpöbeln, wehre ich mich.“ Randy, der neben ihm auf der Bühne stand, erklärte, wie schwer es für ihn war, aus der rechten Szene auszusteigen. Dank eines Jugendpfarrers lebe er heute in einer anderen Welt, morgen will er gegen die NPD demonstrieren. Ein paar hundert Menschen vor der Bühne applaudieren.

Bei der Eröffnung des „Tags der Demokratie“ hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit dazu aufgerufen an beiden Tagen zum Brandenburger Tor zu kommen und damit ein friedliches Zeichen für Demokratie und gegen Rechts, gegen Diskriminierung, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Leider könne nicht verhindert werden, dass die NPD am Sonntag am Alexanderplatz demonstriert. „Wir sind aufgerufen, diesem Treiben ein Ende zu setzen.“

Einige tausend Berliner und Touristen waren bis zum Nachmittag gekommen. Der Regen half der politischen Bildung, die Infostände waren überdacht. Kam die Sonne raus, siegen die Bratwurstbräter und Chinapfannenverkäufer in der Gunst des Publikums. Am Abend lauschten die Menschen am Brandenburger Tor Katja Riemann und Band, The Titans und den Prinzen. Sie tanzten am Alex, im Gepäck ihre zusammengerollten Friedensfahnen. ari/du-/clk/cof

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