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Berlin: Liebe auf den zweiten Blick

Viele Gemeinden wurden durch Sparmaßnahmen zusammengelegt. Vor vier Jahren wehrten sich drei katholische Gemeinden in Berlin erbittert gegen ihre Fusion. Heute können sie gut miteinander leben.

Dieser Jesus da vorne am Kreuz, er ist anders als die anderen Gekreuzigten: Er leidet nicht. Die Arme ausgebreitet, ohne Nägel und Fesseln schaut er selbstbewusst nach oben. Die Hermsdorfer Katholiken haben sich vor vielen Jahren für ein Kruzifix entschieden, das Mut macht und zu Ostersonntag passt, der daran erinnert, dass Jesus den Tod überwunden und auferstanden ist. Als sie diese Darstellung wählten, ahnten die Männer und Frauen von Maria Gnaden freilich nicht, wie sehr der ermutigende, sein Leiden überwindende Christus zum Symbol für das Schicksal ihrer ganzen Gemeinde werden würde. Denn damals waren sie noch selbstständig, wie auch die Nachbarn von Regina Mundi in Waidmannslust und die von Christkönig in Lübars.

Aber dann rutschte das Erzbistum vor vier Jahren in seine Finanzkrise, und von einem Tag auf den anderen hieß es, dass die drei Gemeinden zu einer zusammengelegt werden mit Maria Gnaden als Mittelpunkt. Und, noch schlimmer, dass die Kirche Regina Mundi verkauft wird. Ein Autohaus war als Käufer im Gespräch. „Es war furchtbar“, sagt Irmgard Tiefringer. Selbst der kölsche Optimismus, den die 55-Jährige aus dem Rheinland mitgebracht hat, half nicht mehr, als das Bistum sie alle vor vollendete Tatsachen stellte. Regina Mundi ist ein schmuckloser Flachbau und sicherlich keine Kirchenschönheit. Und doch war der Betonquader für viele ein zweites Zuhause. Dass sie ihn verlassen mussten, kam für sie dem „Auszug aus dem Paradies“ gleich. Sie schrieben „Wut“, „Trauer“, „Enttäuschung“ auf Plakate und zogen in einem Protestmarsch durch die Straßen. Mit den Nachbargemeinden kam man zwar gut klar, aber fusionieren? Nein danke! Das wollte niemand.

Heute, sozusagen auch im übertragenen Sinne am Ostersonntag, sind die drei Pfarreien mit ihren insgesamt 4100 Mitgliedern zu einer glücklichen Familie zusammengewachsen. Sonntags gibt es einen frühen Gottesdienst in Maria Gnaden, einen späteren in Christkönig. Regina Mundi wurde an eine Schule verkauft, die ihren Hort dort eingerichtet hat. In der neuen Großgemeinde herrscht an allen Ecken Aufbruch: Seit ein paar Tagen steht der Entwurf für ein neues Gemeindezentrum, der Kindergarten muss ständig erweitert werden, weil so viele Familien zuziehen. Für die 75 Kinder, die demnächst Erstkommunion feiern, ist die Kirche fast zu klein.

"Gemeinsam etwas Neues begonnen."

Dass alles doch nicht so schlimm gekommen ist wie befürchtet, liegt vor allem daran, dass die kirchlosen Regina-Mundi-Zuzügler von Anfang an das Gefühl hatten, in der neuen Großgemeinde gleichberechtigt zu ein. „Nicht die einen sind der anderen Gemeinde beigetreten“, sagt Irmgard Tiefringer, „wir haben gemeinsam etwas Neues begonnen.“ Die Musik-, Kinder-, und Seniorengruppen aus den Ursprungsgemeinden, die Mütter-, Eltern und Familienkreise, die Chöre und Bibelrunden haben sich zusammengesetzt und überlegt, wie sie Kompetenzen bündeln können. „Klar war das nicht einfach“, sagt Rolf-Peter Löhr, der acht Jahre lang dem alten Pfarrgemeinderat von Maria Gnaden vorsaß. „Da leitet man seit Jahren eine Musikgruppe und dann kommt jemand, der das genauso kann.“ Aber man habe immer Lösungen gefunden, schließlich glaube man an Gott, der alle gleich liebt.

Maria Gnaden ist der Mittelpunkt der neuen Großgemeinde. Aber auch in der Kirche Christkönig in Lübars gibt es weiterhin Gottesdienste. „Durch die Zuzügler aus Regina Mundi ist es da jetzt sonntags auch richtig voll“, sagt Markus Brandenburg, seit zwei Jahren Pfarrer der Großgemeinde. Die Gemeinden seien vorher schon sehr aktiv und selbstständig gewesen, sagt Irmgard Tiefringer, der Kardinal mit seinen Sparplänen habe nicht alles kaputt machen können.

Auch die Idee mit dem neuen Gemeindezentrum war Eigeninitiative. Das alte lag ungünstig. Die Gemeinde ist dabei, es zu verkaufen und dafür ein neues Gebäude direkt in den Garten hinter der Kirche Maria Gnaden zu bauen. 630.000 Euro sind dafür nötig. Gemeindemitglieder sammeln Spenden, veranstalten Benefizkonzerte und lobten einen Architekturwettbewerb aus. „Dazu mussten wir erst mal herausfinden, was wir sind und was wir wollen“, sagt Pfarrer Brandenburg, „das alles schweißt zusammen.“ „Einheit in der Vielfalt“ heißt das Motto, das sie ihrem neuen Gemeindeprofil gegeben haben. Also alles bestens?

Zahl der Gemeinden fast halbiert

Nicht ganz, sagt Irmgard Tiefenringer. Durch die Fusion sind neue Freundschaften entstanden, aber eben auch alte Freundeskreise zerbrochen. Ein Dutzend Familien hätten der katholischen Kirche gänzlich den Rücken gekehrt, so verletzt seien sie immer noch.

Nach der ersten Sparwelle im Berliner Erzbistum sind von 210 Gemeinden 108 übrig geblieben. Lediglich ein Drittel der Pfarreien hätten wie Maria Gnaden wirklich zueinandergefunden, die anderen würden sich nach wie vor fremd gegenüberstehen, sagt ein Bistumsmitarbeiter, der die Gemeinden bei den Fusionen begleitet. Nun steht eine neue Spar- und Fusionsrunde an. Die Hermsdorfer, Waidmannsluster und Lübarser Katholiken müssen das, was sie im Kleinen ganz gut geschafft haben, noch einmal im Großen wiederholen und sich mit anderen zu einer Kirchenregion Nord zusammenschließen. „Ich könnte kotzen, wenn es im Bistum immer heißt, jede Fusion ist ein Aufbruch“, sagt Pfarrer Brandenburg. „Jede Fusion bedeutet erst mal Abbruch und Trauer. Aber ich bin erstaunt, wie gut die Leute das hier hingekriegt haben.“ Warum sollte das nicht auch ein zweites Mal gelingen? Claudia Keller

Die Großgemeinde beginnt den Ostersonntag mit einer Auferstehungsmesse um 6 Uhr in der Kirche Maria Gnaden, das Osterhochamt findet um 10 Uhr statt, Hermsdorfer Damm 195 bis 197.

Claudia Keller

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