zum Hauptinhalt

Berlin: Lieber billig als modern

Die Umbauten in der Zehlendorfer Onkel-Tom-Siedlung verzögern sich Denn viele alteingesessene Mieter wehren sich dagegen

Großmundig hatte die Gehag von zwei Jahren gesprochen. Doch die Modernisierung der Zehlendorfer Onkel-Tom-Siedlung verzögert sich weiter. Prozesse, Vergleiche und eine Vielzahl individueller Vereinbarungen haben das Vorhaben in die Länge gezogen. Die Gehag gibt inzwischen zu, dass bei der Ankündigung der Modernisierung vor rund zwei Jahren „formale und kommunikative Fehler passiert“ sind. Aber man sei lernfähig gewesen. Es gibt allerdings Mieter an der Argentinischen Allee wie Barbara von Boroviczény, die daran Zweifel haben. Die Rentnerin hofft, die Modernisierung stoppen zu können.

Die 66-Jährige ist Anlaufstelle für diejenigen, die mit den Plänen nicht einverstanden sind. Sie hat an den Bundespräsidenten, den Bundesbauminister geschrieben, an Senatoren und den Baustadtrat, um auf die befürchteten Mietsteigerungen und die „Existenzbedrohung“ hinzuweisen. Die Adressaten haben sich alle für nicht zuständig erklärt. Barbara von Boroviczény, freiberufliche Lektorin, die den Einbau von Fernwärme angesichts ungedämmter Hausfassaden und undichter Holzfenster für sinnlos hält, nennt ein Beispiel: „Soll ich erst in die Wanne steigen, um das Badfenster zu öffnen?“ So könnte es sein, wenn ihr Bad modernisiert wird. Die Wanne, die sie einbauen ließ, müsste ersetzt und eine neue direkt vors Fenster platziert werden. Neue Leitungsstränge und Fernwärmeleitungen gehören zum Programm, mit dem die Gesellschaft Gehag die Siedlung modernisieren will.

Barbara von Boroviczény gehört zu den Mietern, die sich bisher erfolgreich gegen die Modernisierungspläne in der denkmalgeschützten Siedlung wehren, auch vor Gericht. Allerdings bestätigte das Landgericht der Gehag vor kurzem, dass sie das Recht zur Modernisierung hat.

Darauf wurden viele Klagen eingestellt oder zurückgezogen. Mindestens 60 Wohnungen stehen leer oder werden gerade umgebaut. Von 438 Wohnungen sind nach Gehag-Auskunft bereits 240 modernisiert oder sollen bis Ende des Jahres fertiggestellt sein, bei den restlichen soll die Modernisierung nächstes Jahr abgeschlossen sein – wenn auch die restlichen Mieter zustimmen. Insgesamt sei die Verzögerung „ärgerlich“, sagt Gehag-Sprecher Bernhard Elias. Die Gehag habe öffentliche Kritik über sich ergehen lassen müssen und Mieter säßen auf Gerichts- und Anwaltskosten.

Die Stimmung, sagt Elias, sei aber viel besser als noch vor Monaten, 85 Prozent der Mieter seien jetzt mit der Modernisierung einverstanden. „An den restlichen 15 Prozent arbeiten wir“. Man wolle außergerichtliche Einigungen und habe individuell mit Mietern soziale Härten abgefedert, Kompromisse bei der Modernisierung vereinbart. Die Stimmung sei gar nicht gut, sagt dagegen Barbara von Boroviczény. „Zwei Jahre psychischer Druck machen die Leute krank, und Angst macht nicht gerade rebellisch.“

Der großeÄrger begann vor über zwei Jahren mit einer Modernisierungsankündigung. Die 1998 von der Stadt verkaufte Gehag hatte gerade wieder einen neuen Eigentümer, die in Los Angeles ansässige Investmentgesellschaft Oaktree Capital Management. Die Gehag kündigte an, in den Hausbestand rund 8,6 Millionen Euro zu investieren, damit auch Mieten und Rendite zu erhöhen. Inzwischen hat die börsennotierte „Deutsche Wohnen“ die Gehag erworben. „Auch eine Heuschrecke“, sagt Barbara von Boroviczény.

Die Mieterin hat an Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee geschrieben und auf die „Zerstörung mietereigener Investitionen“ und auf die fehlende Wärmedämmung hingewiesen. Der ließ antworten, weitere Modernisierungen und neue Fenster würden noch höhere Mieten zur Folge haben. Sie hat an Bundespräsident Horst Köhler geschrieben, der riet zum Bürgergespräch, sie solle sich an das Bezirksamt wenden. An das hatte sich die Mieterin schon mehrmals gewandt und nach einer „Milieuschutzverordnung“ gefragt. „Rechtlich nicht haltbar“, schrieb ihr Baustadtrat Uwe Stäglin (SPD).

Bis zu 40 Prozent soll die Grundmiete steigen, schrieb die Rentnerin in ihren Protestbriefen. Für viele ältere Menschen sei das eine große Belastung. Der Gehag-Vorstand hatte Ende 2005 angekündigt, die Miete werde höchstens 1,50 Euro pro Quadratmeter steigen und dann bis zu 5,50 Euro betragen. Gehag-Sprecher Elias gibt deutliche Steigerungen bei Neuvermietungen zu, da koste der Quadratmeter nettokalt pro Monat schon sieben Euro. Aber junge Familien, die einzögen, fühlten sich wohl in den modernisierten Wohnungen. Ansonsten stiegen die Mieten nur um etwa 20 Prozent. Wärmedämmung und moderne Fenster könne man wegen des Denkmalschutzes nicht anbringen.

Im Südwesten, sagt Barbara von Boroviczény, würden alte und finanziell nicht mehr belastbare älterere Mieter zugunsten einer „Familienoase für Besserverdienende vertrieben“. Mieter anderer Siedlungen, etwa der Gagfah, fürchteten auch teure Modernisierungen und höhere Mieten. Vorsorglich fragen sie schon mal bei ihr nach, wie man sich wehren könne.Christian van Lessen

Christian van Lessen

Zur Startseite