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Berlin: Liebesbeweise

Morgen feiert das Jüdische Museum fünfjähriges Bestehen. Es gibt Lesungen, Führungen, Gespräche. Erstmals wird der Nachlass der Lilly Wust präsentiert, deren Leben Vorbild für „Aimée und Jaguar“ war

Der Kinofilm „Aimée und Jaguar“ beginnt mit der Szene, wie die alte Dame da auf dem Stuhl in ihrer Wohnung sitzt und einen Koffer voller Erinnerungsstücke umklammert. „Wir waren alle sehr aufgeregt, als wir die zwei Koffer aus dem Nachlass von Lilly Wust in Wirklichkeit vor uns hatten“, erzählt Aubrey Pomerance, Leiter des Archivs im Jüdischen Museum. Lilly Wust, das ist die kürzlich verstorbene Berlinerin, deren letztlich unerfüllte Liebesbeziehung mit der Jüdin Felice Schragenheim das Kinopublikum weltweit rührte. Wusts Sohn Eberhard hatte den Nachlass beider Frauen dem Museum vermacht. Am morgigen Mittwoch feiert das Jüdische Museum sein fünfjähriges Bestehen mit einem ganztägigen Veranstaltungsprogramm – und präsentiert als einen Höhepunkt erstmals bislang unbekannte Gedichte, Liebesbriefe, Formulare und Fotos von „Aimée“ und „Jaguar“. „Das sind einzigartige Dokumente, wie wir sie in diesem Umfang so noch nicht in unserem Bestand haben“, sagt Pomerance, gebürtiger Kanadier. Es sind Originaldokumente, die die Beziehung zwischen der „Arierin“ und vierfachen Mutter Elisabeth und der Jüdin Felice unvergessen machen – eine lesbische Liebe, die nur ein gutes Jahr währen durfte, weil die Nazis Felice im Versteck bei Lilly fanden und sie wie Millionen andere Juden umbrachten.

2200 Exponate zu Vergangenheit und Gegenwart, darunter 944 Originale, zeigt das Jüdische Museum an der Lindenstraße in Kreuzberg derzeit insgesamt. Seit seiner Eröffnung passierten fast 3,5 Millionen Menschen die Sicherheitsschleuse im Eingangsbereich; mit täglich rund 2000 Besuchern zählt das Museum im Altbau und dem Libeskind-Neubau zu den meistbesuchten Museen in Deutschland. Eigentlich wollte das Haus am 11. September 2001 öffnen, wegen der Katastrophe in den USA wurde der Termin auf den 13. September verschoben.

Das, was Mitarbeiter Aubrey Pomerance in den Händen hält, ist Vergangenheit, und doch lebendig. Der Archivleiter zieht die weißen Arbeitshandschuhe über, damit nicht womöglich Schweiß den Dokumenten schadet. All die Reichs-Bescheinigungen, die Geburtsurkunde und das Schulzeugnis sowie die vielen abgewiesenen Anträge der Berliner Jüdin Felice Schragenheim auf Auswanderung haben der Archivleiter und seine Mitarbeiterin Nadine Garling akribisch gesichtet. Auch das „Tränenbüchlein“ der Lilly Wust mit den Abschriften aller Briefe und Gedichte mit grüner Tinte liegt gut behütet im Archivmäppchen. „Das war alles fein säuberlich in Plastikfolien verpackt und mit Gummiband umschnürt“, sagt Garling.

„Hochzeitstag“, hat Lilly Wust im Kalender 1943 am 2. April eingeschrieben, es war ihr erstes Mal. Ein gutes Jahr später, am 21. August 1944, steht: „Deportation“. Im Tagebuchumschlag zeigen vergilbte Bilder vom selben Tag die beiden Frauen noch glücklich umarmt am Wannseestrand. „Nur drei Stunden vorher!“ hat Lilly Wust daneben geschrieben.

Solche persönlichen Erinnerungen, die Holocaust und Nazizeit dem Vergessen entreißen, geben Berliner immer wieder im Haus an der Lindenstraße ab. Wegen der Dokumentenfülle, aber auch wegen des zunehmenden Besucherstroms vor allem junger Gäste aus aller Welt wird das Museum jetzt ausgebaut. Die Unterkellerung für Technik und Lager ist schon fertig, jetzt wird mit der Hofüberdachung begonnen, sagt Architekt Bülent Durmus. Der neue Glasbau mit verästelten Stützen nach einem Libeskind-Entwurf soll in einem Jahr genutzt werden können – endlich, man brauche dringend mehr Platz auch für Veranstaltungen. Für die Baumaßnahmen gibt der Bund seinem Haus 2,5 Millionen Euro dazu, 5,6 Millionen kamen von Spendern und Sponsoren zusammen.

Annette Kögel

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