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Berlin: „Lieder schmettern, Sektchen – dann flutscht das“

Hunderttausende feierten den Berliner Karnevalsumzug. Manch ein Exil-Rheinländer war positiv überrascht. Andere sehnten sich nach dem Original

Um Wolfgang III. und Manuela II. kommt keiner herum. Das Berliner Karnevalsprinzenpaar steht auf einem LKW-Anhänger am Anfang der Marschroute Unter den Linden. Alle paar Minuten, wenn am Sonntagmittag ein neuer Wagen oder eine weitere Gruppe Verkleideter vorbeikommt, heben beide mechanisch die Hand zum Gruß. Er ruft in sein Mikrofon: „Berlin“, sie antwortet: „Heijo!“ Dann sagt er: „Karneval an der Spree“, und sie antwortet: „Olé, olé, olé.“ Wenn von einem Wagen die Musik besonders laut dröhnt, lassen die beiden sich auch mal zu einem „Humba Humba täterätä“ oder einem „Rucki Zucki“ hinreißen.

Karneval und Berlin, das ist ein vorsichtiger Annäherungsprozess. „Die sind alle noch zu angestrengt und verbissen“, sagt eine sektlaunige Frau im Marienkäferkostüm mit rheinischem Akzent. Sie steht mit drei Marienkäfer-Freundinnen auf einer Parkbank an der Friedrichstraße und singt und tanzt. Um sie herum stehen Hunderttausende Schaulustige, von denen nur wenige kostümiert sind und so ausgelassen wie die vier auf der Bank. „Dabei ist es doch ganz einfach“, ruft die Marienkäfer-Frau: „Lustig sein, Lieder schmettern, Sektchen – dann flutscht das.“

Etwas ausgelassener ist die Stimmung rund um den Gendarmenmarkt. Hier singen die Zuschauer manchmal sogar mit und schunkeln, wenn ein Wagen mit Tänzerinnen und Kamellewerfern vorbeizieht. Auch ist hier die Kostümdichte am höchsten. Man sieht Harlekine, Tiere, Phantasiewesen und Indianer im Publikum. Das wichtigste Utensil ist der Regenschirm. Umgeklappt gehalten, fangen damit viele Zuschauer Bonbons kiloweise ab, hin und wieder kommt es bei Besitzstreitigkeiten über Schokoriegel oder vom Wagen geworfene Stofftiere fast zu Rangeleien. Alles in allem ist die Atmosphäre aber gut, auch wegen der strahlenden Sonne, die die Frostgrade vergessen lässt. „Ich bin überrascht, wie toll die Stimmung ist“, sagt einer, der es wissen muss, ein Reiter der Ehrengarde Köln, die aus der Karnevalsmetropole eingeflogen ist. „Es fehlen die Spielmannszüge, und es ist nicht so intensiv wie bei uns – aber besser als erwartet.“

Eine Hand voll Umzugswagen will es auch politisch mit dem Kölner Vorbild aufnehmen. Es gibt Anspielungen auf Hartz IV sowie Schröder und Eichel als Pappfiguren. Dazwischen sieht man aber immer wieder schmucklose Wagen ohne Musik, die die Stimmung trüben. „Ihr braucht noch eine Generation, bis ihr mit Köln mithalten könnt“, sagt die Frau im Marienkäferkostüm. Kämpferisch stößt sie ihre Freundinnen an und ruft: „Bis dahin machen wir uns unseren Spaß selbst!“ Und dann schunkeln die vier, singen und lachen. Eine gute Stunde später, als der Karnevalszug längst an ihnen vorbeigezogen ist und der Putzwagen der BSR vorbeikommt, stehen die vier Marienkäfer noch immer auf ihrer Bank und singen.

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