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Berlin: Lindenball, herbsüß

Top-Manager aus ganz Deutschland und kostbar gewandete Frauen trafen sich zum Zwecke der Kunstförderung im Adlon

Die Gefahr, dass man bei einem Fest zu fein angezogen ist, ist in Berlin immer noch größer als anderswo. Nicht so beim Lindenball im Hotel Adlon. Zum sechsten Mal trafen sich auf Initiative der Komischen Oper, des Deutschen Historischen Museums und des Hotels Adlon 200 Freunde und Förderer der Kunst unter den Linden, um – klein, aber fein – den in ihren Augen schönsten Ball der Saison zu feiern.

Barock war das Leitmotiv des Balls, barock, und von kostbar schillernder Pracht waren die Abendgarderoben. Viele davon waren allerdings eher in den Schatzkammern herrschaftlicher Taunus-Villen zu Hause als in den Einbauschränken Dahlemer Dachgeschosse. Der Lindenball zieht Banker und Top-Manager aus ganz Deutschland an. Mitorganisatorin Marylea van Daalen trägt stolz ihre gebauschte Glitzerrobe durch die Reihen der paillettenglitzernden, barockreifen, nerzbedeckten Abendgarderoben. Am Kopf des von Bühnentechnikern theatralisch ausgeleuchteten Ballsaals prunkt das große Bild einer höfischen Tafel. Zwölfarmige silberne Kandelaber mit roten Kerzen thronen über wildromantischen Herbstfrüchtedekorationen auf den Tischen, an denen unter anderem Rolf Breuer von der Deutschen Bank, Jürgen Weber von der Lufthansa, Hartmut Mehdorn von der Bahn AG Platz nehmen, aber auch Unternehmer Hartwig Piepenbrock, Schering-Chef Hubertus Erlen, der US-Botschafter Dan Coats und sein Vorgänger John Kornblum. Inzwischen ist der Ball so beliebt, dass die Nachfrage größer ist, als die Zahl der vorhandenen Plätze.

Zum Essen spielt das Salonorchester der Komischen Oper Kompositionen von Händel, treten Sinhead Mulhern und Altus Axel Köhler als Solisten mit barocken Arien auf. Intendant Albert Kost wird den Förderern des Hauses im Lauf des Abends noch deutlich erzählen, wie wenig Männerstimmen es weltweit überhaupt gibt, die so hoch singen können, und die Komische Oper hat gleich zwei davon. Er wird vieles sagen, was auf die Einzigartigkeit seines Hauses hinweist und wird sich von schwierigen Perspektiven nicht die Ball-Contenance verpatzen lassen. Die Show, so leicht im Ton sie gehalten sein mag, ist in Zeiten der langen Messer schließlich Teil des Überlebenskampfes.

Die Politik ist an diesem Abend allerdings so gut wie unsichtbar. So als habe sie Berührungsängste, wie man ja auch auf das Fest eines Schwindsüchtigen nur mit Vorbehalten gehen würde, wenn man nicht weiß, in welchem Zustand und ob überhaupt er die nächste Saison wohl erleben mag. Gewiss, die Künstler bekamen enthusiastischen Beifall. Aber an keiner Stelle brandete er so tosend und von Herzen überzeugt auf wie bei der Rede des Intendanten, als es noch mal um die Erhaltung der Abzugsfähigkeit von Spenden ging. Viele Gäste waren auch schon am Donnerstag dabei, als sich der Bundespräsident beim 40-jährigen Jubiläum der Deutschen Stiftung Musikleben gegen entsprechende Sparpläne von Finanzminister Eichel aussprach. Gerade in so bitteren Zeiten für die öffentlichen Kassen braucht der Gemeinsinn positive Signale, keine Abfuhren, war sich die Gesellschaft einig. Der gerade vermiedene Absturz ist ein großes Thema an diesem Abend. Denn „Kunst ist kein Luxus, sondern ein Lebensmittel wie die Schrippe oder Semmel.“

Immer mal wieder geht es in den Tischgesprächen auch um die Förderung junger Künstler, um die Defizite des Musikunterrichts, um die Versuche, zur Open-air-Saison Gemeinschaftsprojekte der Opern zu starten, um die Unmöglichkeit, die Preise zu erhöhen, so dass sie denen von London und New York ähnlich werden. Hin und her und her und hin. Der Kern des Problems schimmert immer wieder hervor. In Berlin herrscht ein Mangel an wirklich reichen Leuten und an wirklich begnadeten Politikern. Albert Kost badet die ihm zu Beginn der Saison vom Kultursenator zugefügten Wunden (Auslauf des Vertrages 2004) im offensiv solidarischen Zuspruch von Förderkreismitgliedern. Die Unerfreulichkeiten zum Saisonauftakt haben sich bei der Zahl der Förderer bereits bemerkbar gemacht. An diesem Abend immerhin sind die Unerschütterlichen versammelt. Lissi Falk-Werny und Barbara Hoelk, seit Jahren ehrenamtlich engagiert, springen immer wieder von ihren Sitzen, um dies zu ordnen, jenes zurechtzurücken und zu gucken, ob vielleicht doch noch ein Politiker kommt. Nein, leider nicht. Trotzdem: „Es ist der schönste Ball“, sagt Unternehmensberater August P. von Joest. Was den Teilnehmern am besten gefällt, ist die Konzentration aufs Wesentliche. Kein Chichi, keine Verlosung, keine Tombola. Arien aus der Barockzeit vor der mit Trüffel parfümierten Terrine vom Milchferkel, vor dem Seeteufel mit Tomaten-Thymiankruste und der mit Rosmarin gespickten Fasanenbrust. Das Signal zum Tanz vor dem Dessert füllt das Parkett in Sekundenschnelle, erst zur Mitternachtsshow mit Schlagern aus den 30er Jahren leert es sich wieder.

Es ist kein Tanzen und kein Tafeln auf dem Vulkan vor dieser barocken Kulisse. Eher schon die bewegte Heiterkeit zwischen Abgrund und Hoffnung. „So schön war es nie“, heißt die allgemeine Abschiedsformel gegen zwei Uhr. Als könne auch sie mithelfen, dass es wieder so schön werden kann.

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