zum Hauptinhalt

Linke Großdemo: Verdrängte Geschichte

Gedenken zur Großdemo am 4. November 1989: Woran sich Gregor Gysi nicht gerne erinnert. Zum Beispiel, dass er eine Erneuerung der Partei gefordert hatte.

Es sind nicht viele Berliner gekommen, um der umstrittenen „Rekonstruktion“ der Ereignisse vom 4. November 1989 beizuwohnen, zu der die Linkspartei am Mittwoch eingeladen hat. Auf der Leinwand im Kino Babylon in Mitte werden Szenen der Live-Übertragung der größten Massenkundgebung der DDR-Geschichte im Staatsfernsehen gezeigt. Fünf Tage vor dem Fall der Mauer hatten damals Künstler zu einer – angemeldeten – Demonstration aufgerufen, bei der oppositionelle Redner einen politischen Neuanfang forderten, SED-Mitglieder ihrerseits mehr Demokratie und einen besseren Sozialismus. Von Wiedervereinigung war hier noch nicht die Rede.

Einer der SED-treuen Redner war der damalige Vorsitzende des Kollegiums der Rechtsanwälte, Gregor Gysi. Der heutige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei kam in Trenchcoat und Krawatte ans Mikrofon, forderte mehr Rechtsstaat und verteidigte den SED-Parteichef Egon Krenz, der sich „immerhin gegen die chinesische Lösung“ bei den Montags-Demonstrationen in Leipzig ausgesprochen habe. Die Kernbotschaft des SED-Mitglieds Gysi an die Hunderttausende auf dem Alexanderplatz lautete: „Die Partei muss sich erneuern.“ Zwanzig Jahre später sagt Gysi lächelnd: „Ist schon interessant, woran man sich später noch erinnert und woran nicht.“ Er erinnere sich noch gut an Passagen seiner Rede, etwa zu seiner Forderung nach einem Verfassungsgericht und nach Kontrolle über den Staat. Seine Aussagen zur neuen Rolle der Partei habe er dagegen verdrängt. Im Nachhinein sei es „letztlich gut“, dass sie SED keine Chance mehr bekommen hat.

Gysi weist die Vorwürfe einiger ehemaliger Bürgerrechtler zurück, dass die Linke die Vorgänge von 1989 für sich vereinnahme. „Die Kundgebung am 4. November war keine Veranstaltung der SED, sondern gegen die SED“, sagt er. Hätte die Linke also nichts zum 4. November veranstaltet, wäre sie dem Vorwurf ausgesetzt, sie sei „geschichtsvergessen“. Veranstalter sind die Bundestagsfraktion der Linkspartei und die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie hatten im Vorfeld alle Redner von 1989 zum Gedenken eingeladen, doch nur ein Teil wollte sich gemeinsam mit der SED-Nachfolgepartei als Gastgeber an das Datum erinnern.

Die groß angelegte Gedenkfeier gestaltet sich als Linkspartei-Treff. Ein paar Zuschauer rufen „buh“ und „pfui“, als der Brief von Marianne Birthler, der Chefin der Stasi-Aufklärungsbehörde, vorgelesen wird. Darin erklärt die damalige Oppositionelle, warum sie nicht an der Gedenkfeier teilnehmen wollte: Sie werde ausgerechnet von denen ausgerichtet, die der Partei nahestehen, gegen die sich die Demonstration am 4. November richtete. Verlesen wurde zudem eine Erklärung der ebenfalls ferngebliebenen Schriftstellerin Christa Wolf: So eine „Selbstinszenierung“ finde sie unpassend, besser sei eine Darstellung der Kundgebung mit Schauspielern. Ferda Ataman

Ferda Ataman

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false