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Politik machen. Linken-Chefin Katja Kipping redet vor dem Jobcenter in Neukölln, rechts neben ihr Bernd Riexinger, ebenfalls Parteivorsitzender und lange Gewerkschafter in Stuttgart.

© Mike Wolff

Linkspartei startet Wahlkampf in Neukölln: Auf der Suche nach dem Wutwähler

Die Spitze der Linkspartei startet den Wahlkampf – und hört sich im Jobcenter im Neuköllner Rollbergkiez die Sorgen der Leute an.

Für erfolgreiche Agitation könnte es fast zu kalt sein. Bei Minusgraden huschen sie an diesem Donnerstag ins Neuköllner Jobcenter in der Mainzer Straße, junge Frauen mit Kopftüchern, alte Ehepaare mit Stoffbeuteln, Männer mit Wollmützen. Hier im Rollbergkiez – trotz Gentrifizierungstendenzen immer noch sozialer Brennpunkt – will die Linkspartei gegen Hartz IV mobil machen. An diesem Tag, dem 14. März, hat Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) vor zehn Jahren seine "Agenda 2010"-Rede gehalten

Katja Kipping und Bernd Riexinger, die Bundesvorsitzenden der Linken, sind nach Neukölln gekommen. Hier gibt es viele von denen, um die sich die Linke seit Jahren zu kümmern versucht: Dauererwerbslose, Niedriglöhner, Wütende. Immerhin, der Kreisverband gilt als besonders rege, er ist mit mehr als 300 Mitgliedern der stärkste im Westen der Stadt.

Vor Riexinger, im weinroten Schal und mit randloser Brille, stehen die örtlichen Parteiaktivisten. Hinter ihm wurde ein etagenhohes Transparent aufgespannt, auf dem Mindestlohn und Mindestrente gefordert werden. Die "Agenda"-Politik hat einen Niedriglohnsektor geschaffen, der auch vielen Sozialdemokraten nicht passt. Die Durchschnittskaufkraft der Arbeitnehmer, das inflationsbereinigte Einkommen, ist seit der Schröder-Ära gesunken.

Erst als Riexinger das Mikro nimmt und von einer "Welle des Lohndumpings" und einem "System von Schikanen" spricht, bleiben ein paar Neuköllner stehen. "Ditt mit den Löhnen stimmt ja wohl", sagt eine Frau im grauen Anorak. "Ick krieg’ seit Jahren nüscht für mehr als sechs Euro die Stunde." Sofort drücken ihr die Neuköllner Genossen ein bescheidenes Schwarz-Weiß-Flugblatt in DIN A 5 die Hand: Unter der Überschrift "...das ist Ihr gutes Recht" lädt die Linke zur Rechtsberatung. Wer sich politisch engagieren möchte, steht auf dem Zettel, sei dort auch in der "Hartz IV Arbeitsgemeinschaft" willkommen. "Juti, ma kieken", sagt die Frau im grauen Anorak.

Eigentlich hat Riexinger wenig mit Berliner Erwerbslosen zu tun. Als Gewerkschafter im vergleichsweise prosperierenden Stuttgart waren gut organisierte Facharbeiter seine Klientel. In Berlin wohnt Riexinger erst seit zehn Monaten, überraschend war er vergangenen Sommer zusammen mit Kipping in die Parteispitze gewählt worden. Man müsse den "roten Faden" zwischen den Erwerbslosen und denjenigen finden, die noch einen Job haben, sagt Riexinger.

Geduldig hört sich der Parteichef die Sorgen derjenigen an, die auf dem Weg ins Amt stehen bleiben, hier in Neukölln. Das Jobcenter zahle die Miete nicht, klagt einer; es akzeptiere auch vorgelegte Papiere nicht, meint ein anderer. Das Interesse zahlt sich aus. Nach zehn Minuten in der Kälte wollen schon zwei Anwohner noch vor dem Jobcenter der Partei beitreten. Das scheint selbst einen örtlichen Aktivisten zu überraschen. Er fragt: "Wo sind eigentlich die Mitgliedsanträge?"

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