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Wie im Süden. Blick durch die Kolonnaden im Park von Schloss Glienicke auf den Jungfernsee. Zeitgenossen des Schlossherrn Carl von Preußen und seiner Frau Marie schwärmten damals: „Man könnte glauben, am Gardasee oder Golf von Neapel zu sein.“

© picture-alliance / ZB

Literarische Bootstour rund um den Wannsee: Am Golf von Berlin

Mediterranes Flair, spannende Geschichten: Auf einer Bootstour rund um Wannsee ist Bella Italia ganz nah. Ein Buchautor schippert los zu romantischen Schlössern und Traumvillen – und ihren Bewohnern.

Es war eine höchst ungewöhnliche Seeschlacht. Rund 200 Jachten, Kutter, Segelschiffe, Gondeln und Rudergaleeren kreuzten auf dem Jungfernsee, über alle Masten prächtig beflaggt. Die Sonne strahlte. Die gesamte Süßwasserflotte der Schlösser Babelsberg, Glienicke und der Potsdamer Häfen hatte die Leinen losgeworfen. Alles friedlich, fröhlich – aber plötzlich donnerte ein Kanonenschuss. Da hielten alle Boote in der Mitte des Sees aufeinander zu, bereit zur Attacke: Hunderte Blumensträuße wurden von Deck zu Deck geschleudert, aufgefangen, zurückgeworfen. Ein maritimer Blumenkrieg beim „Wasserkorso“ zu Ehren der Zarin Alexandra Feodorowna, einst Prinzessin Charlotte von Preußen. An Bord des Dampfbootes Alexandria sah sie dem Schauspiel fasziniert zu.

Das ist eine von zahlreichen Geschichten über Adelige und Künstler, Forscher, Bankiers, Fabrikanten und andere Großbürger, die sich in den vergangenen 300 Jahren in einen auserlesenen Flecken Erde verliebt haben – in die Insel Wannsee und die Havelgewässer drum herum. Nun gibt es auch das Buch dazu: TV-Journalist und Autor Michael Stoffregen-Büller erzählt in „Uferblicke“ vom Wirken vieler Wannsee-Fans und ihrer Leidenschaft, stellt Schlösser, Parks und Märchenvillen vor, die sie geschaffen haben.

Der Wannsee im Sommer. Gemälde von Philipp Franck, 1914.
Der Wannsee im Sommer. Gemälde von Philipp Franck, 1914.

© Repro: Nicolai

Dabei macht er eindrücklich klar, welchen landschaftlichen Schatz die Berliner und Potsdamer vor ihrer Haustür haben: im Westen der Insel das mediterran anmutende Preußische Arkadien. Und im Osten, an den Ufern von Wannsee und Kleiner Wannsee-Kette, das Gegenstück zu den verspielten Schlössern des Adels – der Traum eines bürgerlichen Arkadiens mit noblen gründerzeitlichen Bauten.

Leinen los zur Sieben-Seen-Rundfahrt mit dem Kajütboot

Michael Stoffregen-Büller nimmt seine Leser mit zur klassischen „Sieben-Seen- Rundfahrt“ der Ausflugsdampfer rund um die Wannsee-Insel. Allerdings nicht an Bord eines Fahrgastschiffes, sondern exklusiv auf einem Kajütboot, der „Seehase“. Mit Ruhe erforscht er vom Steuer aus das Ufer, lässt auch mal den Anker fallen auf der 16 Kilometer langen Strecke. So in der Nähe der „Römerbank“ am Sacrower Ufer des Jungfernsees. Rundherum erblickt man hier vom Boot aus sechs Schlösser: Sacrow, Glienicke, Babelsberg, das Marmorpalais, Cecilienhof und das Belvedere am Pfingstberg. Ein perfekter Ort, um die Geschichte der Blumenseeschlacht und des „Sir of Glienicke“, Carl von Preußen, zu erzählen.

Der jüngste Sohn von Preußenkönigin Luise hatte das Spektakel auf dem Wasser am 7. Juli 1852 inszeniert und seiner Schwester Charlotte zum 54. Geburtstag geschenkt, als sie ihre geliebte alte Heimat besuchte. Damals war sie schon seit 35 Jahren mit dem Zaren Nikolaus I. verheiratet. Carl von Preußen ging später als „Kenner und Beschützer des Schönen“ in die Geschichte ein. 1824 hatte er auf der Landspitze zwischen Jungfernsee und Glienicker Lake das Gut Glienicke erworben. Dort verwirklichte er seinen Traum von einem italienischen Landsitz mit Park und Pleasureground: das Schloss Glienicke. Bis zu Carls Tod 1883 hatte er seinen Sommersitz am „Golf von Potsdam“, wie Besucher schwärmten.

Schon 1817 fuhr das erste Dampfschiff über die Havel

Bereits 1817 verkehrte hier eines der ersten Dampfschiffe. Siebzig Jahre später lag am Steg der Villa Siemens am Kleinen Wannsee ein weiteres Pionierstück: das erste deutsche Elektroboot „Electra“. Arnold von Siemens, Sohn des Siemens-Firmengründers, hatte seine Sommerresidenz 1886 in der zwei Jahrzehnte zuvor gegründeten Villenkolonie Alsen gebaut. Viele Prominente wohnten von der Kaiserzeit bis zu den 30er Jahren in der Nachbarschaft und am Ostufer des Großen Wannsees: Maler Oscar Begas, Schauspieler wie Heinrich George und Heinz Rühmann, der Industrielle Oscar Huldschinsky, Kunstsammler Albrecht Guttmann.

Kaffeegarten in Nikolskoe, Gemälde von Max Liebermann, 1916.
Kaffeegarten in Nikolskoe, Gemälde von Max Liebermann, 1916.

© Repro: Nicolai

Bis zur Neuzeit reicht die Fülle der Ufergeschichten und -ansichten, die Michael Stoffregen-Büller schildert. Er schippert die „einmalige Kette nebeneinanderliegender Marinas und Clubhäuser“ am Großen-Wannsee-Ufer entlang, erzählt vom Glaspavillon des Verlegers Axel Springer auf Schwanenwerder, stellt die American Academy und das Literarische Colloquium vor. Und lässt auch die düsteren Kapitel nicht aus. Das „Haus der Wannseekonferenz“ oder Hitlers Wahnidee von der „Welthauptstadt Germania“, der Carl von Preußens Schlösschen beinahe zum Opfer gefallen wäre.

Glienicke sollte eine „würdige Eingangspforte“ von Germania werden. Rabiat zerstörte NS-Chefarchitekt Albert Speer dafür Teile des Parks. Der Pleasureground war der Verbreiterung der Königstraße im Weg. In den 80er Jahren begann eine Rettungsaktion. Heute ist die alte Schönheit zurückgewonnen.

Michael Stoffregen-Büller: Uferblicke. Geschichten rund um den Wannsee. Nicolai Verlag, Berlin. 264 Seiten, 50 Abbildungen, 29,95 Euro.

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