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Berlin: Literatur: Von Frauen und Faschisten

Wei Hui - eine Konfirmantin im Morgennebel. Kann eine Frau, die schonungs- und hemmungslos über Sex schreibt, deren Telefon deswegen abgehört und deren E-Mails von Geheimdienst mitgelesen werden, tatsächlich so unschuldig aussehen?

Wei Hui - eine Konfirmantin im Morgennebel. Kann eine Frau, die schonungs- und hemmungslos über Sex schreibt, deren Telefon deswegen abgehört und deren E-Mails von Geheimdienst mitgelesen werden, tatsächlich so unschuldig aussehen? Schwarzes Samtkleid, flache Stiefel, Strümpfe mit Quermaschen, kreuzbrave Perlenkette: Wei Huis Auftritt im Garten des Hotels "Hackescher Markt" ist eine Überraschung. Die Chinesin passt so gar nicht in das Bild, das man sich nach der Lektüre ihres Romans "Shanghai Baby" unweigerlich machen muss. Da geht es nämlich um eine junge Frau namens Coco, die ein Buch schreibt, auf wilde Partys geht und einen impotenten Mann liebt, der heroinabhängig ist und dessen "Morgenküsse von der Geschmeidigkeit kleiner Fische im Wasser" sind. Schließlich lernt Coco in Shanghai einen verheirateten Manager aus Berlin kennen und hat auf jede vorstellbare Art und Weise Sex mit ihm: auf dem Klo, beim Telefonieren und so, aber immer mit der Brechstange.

Wei Hui, die aussieht als käme sie direkt von einer Audienz beim Papst, benutzt die ausgesprochen explizite Sprache einer neuen Generation wie selbstverständlich - sehr zum Missfallen der chinesischen Autorität, die kurz nach dem Erscheinen von "Shanghai Baby" 40 000 Exemplare des Buches in aller Öffentlichkeit verbrennen ließ. Wei Huis seitenlange, feuchte Klitoris- und Masturbationsbeschreibungen wurden von den chinesichen Machthabern offenbar mit großem Interesse studiert, bevor sie das Buch von der Bildfläche verschwinden ließen und Wei Hui als "Sklavin westlicher Kultur" bezeichneten. Ein Skandal, der die 28 Jahre alte Autorin weit über die Grenzen Chinas bekannt werden ließ. Nur ihre Eltern wollten "Shanghai Baby" nie lesen.

"Geld ist mir egal", sagt Wei Hui und lächelt nonchalant. "Ich will am liebsten berühmt sein." Das ist ihr bereits gelungen - in China ist Wei Hui schon jetzt eine Ikone, ein Vorbild für viele junge Frauen. Von "Shanghai Babay" verkauften sich vor dem Verbot innerhalb von sechs Monaten 130 000 Exemplare. Die jungen Leute in Shanghai werden mit dem Wirtschaftswunder erwachsen, sehen Hollywood-Filme, bevor sie in europäischen Kinos gezeigt werden und haben freien Zugang zu internationaler Popmusik. "Westliche Literatur ist wie eine Waffe", sagt Wei Hui, die offen zugibt, dass in ihrer Protagonistin Coco sehr viel von ihr selbst steckt. "Chinesische Klassiker sind eher ruhig, augleichend und friedlich. Ich bin eine Rebellin." Und nur chinesische Rebellinnen oder Verrückte können unter einer kommunistischen Diktatur etwas schreiben wie: "Er war wie ein mitleidloses Tier, wie ein Soldat der durch die Linie der Feinde bricht. Frauen lieben es, einen Faschisten im Bett zu haben, seine Stiefel im Gesicht. Mein deutscher Liebhaber hat mir mehr Extase verschafft als alle Männer zuvor."

Wei Hui bewegt sich kaum. Sie sitzt am Café-Tisch, als hätte sie einen Besen im Rücken - steif und mit müden Augen. Die Buchmesse war anstrengend und ihre zur Schau gestellte Aufmüpfigkeit wirkt irgendwie rührend, kindlich. Wei Hui ist zum ersten Mal in Berlin. Einen deutschen Liebhaber aus Berlin, einen Ex-Boyfriend, den gab es wirklich in ihrem Leben. Wei Hui ist fasziniert vom kalten Blick der Blauäugigen und Blonden unter den männlichen Berlinern, ihren goldenen Unterarm-Härchen und dem, was sie zwischen den Beinen haben. "Sie sind wie Sexmaschinen", formuliert sie auf Englisch. In einer fremden Sprache hört sich das nicht so gefährlich an wie auf Deutsch. Wei Hui versucht, den kalten deutschen Männer-Blick zu imitieren. Das geht natürlich in die Hose - Wei Huis Augen kriegen viel zuviel mit und sind sanft und dunkelbraun. Sie lacht zum ersten Mal und zeigt ihre ungewöhnlich spitzen Schneidezähne - so sieht eine echte "Vaterlandsverräterin" aus. "Alle chinesischen Männer haben Angst vor den Frauen aus Shanghai", sagt sie und streicht ihr Samtkleid glatt. "Sie kochen für uns und waschen danach auch noch das dreckige Geschirr ab."

Wei Hui hatte nur 48 Stunden in Berlin, las Dienstag abend gemeinsam mit Esther Schweins vor großem Publikum bei Kiepert und will zum Abschluss unbedingt in eine Berliner Lesben-Bar. Ihr nächster Roman wird von einer Chinesin handeln, die in den Westen geht um ihr Glück zu suchen. Für diese Geschichte will Wei Hui in Europa Material zusammentragen, in Clubs gehen, Menschen kennen lernen. Abhauen aus Shanghai kommt jedoch für Wei Hui nicht in Frage, sie liebe die Stadt, sagt sie, ihre Freunde, die dort leben, und könne sich nicht vorstellen, woanders zu schreiben.

Als der Mann vom Geheimdienst sie kurz vor ihrem Europa-Trip besuchte und nach den Gründen für ihre Reise fragte, antwortete die Schriftstellerin: "Ich möchte den Leuten von dem wunderschönen Shanghai erzählen und davon, dass sie unbedingt herkommen und ihre Portemonnaies mitbringen müssen." Da durfte sie gehen.

Esther Kogelboom

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