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Berlin: Literatur zum Bier

Die Weddinger Brauseboys lassen es bei der Langen Buchnacht in Kreuzberg prickeln.

Dass Kreuzberg, ja wahrscheinlich ganz Berlin, hauptsächlich von Außerirdischen bevölkert wird, ist nicht wirklich eine Überraschung. Nur konsequent also, dass die abendliche Traditionsveranstaltung für Bücherfreunde – die Lange Buchnacht in der Oranienstraße – in diesem Jahr mit einem Plakat voller zerbeulter extraterrestrischer Kreaturen wirbt. „Außerirdische? Nicht doch“, protestiert Paul Bokowski und mustert das Programmheft in seiner Hand, „das sind alles Kreuzberger – die wohnen halt schon etwas länger hier.“ Ach so. Bokowski kennt sich eben aus. Als Autor und Mitglied der Weddinger Lesebühne „Brauseboys“ hat er das Beobachten rätselhafter Lebensformen schon in jungen Jahren zur Hauptbeschäftigung gemacht. Jetzt ist der in Mainz geborene Sohn polnischer Eltern 29, schreibt für Kabarett und Satiremagazine und hat im März sein Solo-Buchdebüt herausgebracht: „Hauptsache nichts mit Menschen“.

Zusammen mit Kollege Volker Surmann, der mit „Lieber Bauernsohn als Lehrerkind“ ebenfalls ein neues Buch mit Bekenntnissen und Provinzanalysen zu verkaufen hat, stellt er das Werk am späten Samstagabend im Kneipenkollektiv Tante Horst vor. Surmann ist 39, gebürtiger Ostwestfale und hat als einziger Brauseboy die Lizenz, nicht in Wedding, sondern in Friedrichshain zu leben. Der Poetry Slammer schreibt Romane und Kolumnen, Texte für Kabarett und TV-Comedy und betätigt sich als Satire-Kleinverleger. Zu den insgesamt sechs Brauseboys gehört er seit der Gründung 2003. Deswegen kann er auch flüssig den Namen der Lesebühne erklären. „Die heißt so, weil die Galerie, in der wir zuerst gelesen haben, eine Dusche hatte.“ Ah ja.

Dergleichen Schnickschnack lässt sich von der ehrlichen Kreuzberger Bierschwemme „Zum Elefanten“ Gott sei Dank nicht sagen. In der Eckkneipe am Heinrichplatz lesen die beiden Autoren am frühen Samstagabend mit zwei weiteren Brauseboys – Hinark Husen und Robert Rescue. Der „Elefant“ mit seiner sogar am helllichten Vormittag bei geöffneter Tür in der Luft hängenden Beize aus Zigaretten und Pils, ist zum ersten Mal bei der Buchnacht dabei. Es ist immerhin die 14., bei der wieder mehr als 40 Veranstalter bei über 100 Lesungen in Bars, Buchhandlungen, Ballhäusern, Bibliotheken, Kirchen oder Kindergärten auf rund 15 000 Besucher warten. So viele waren vergangenes Jahr zwischen den über die Oranienstraße hinaus wuchernden Leseorten vom Kottbusser Tor bis zum Moritz- oder Mariannenplatz unterwegs. Vom Kinderbuchautor über Comiczeichner, Underground-Lyriker bis zu Krimiautoren und Schriftstellern wie Jan Peter Bremer, Olga Grjasnowa, Jakob Hein oder Katharina Hacker ist jedes literarische Genre dabei. Und nirgends zahlt man Eintritt.

Die Brauseboys haben hier sogar Stammpublikum, das gezielt zu ihnen kommt. „In den Wedding zu fahren, wo wir donnerstags immer im ,La Luz‘ lesen, ist denen viel zu weit“, grinsen Surmann und Bokowski.

Das Buch, aus dem sie gemeinsam im „Elefanten“ vortragen, ist der vor ein paar Monaten erschienene, letzte Band einer Trilogie über diese Stadt. Es trägt den erfrischenden Titel: „Das ist kein Berlin-Buch“. Sondern? Eins über brandenburgische Weiten, Deutschland, Europa, virtuelle Welten, denn – sowas! – ein Leben außerhalb Berlins ist möglich. Beispielsweise in – Berlin. Surmann war da. In Berlin, Maryland, Berlin, Pennsylvania und Berlin, Nevada. Fast durchweg eine niederschmetternde Erfahrung, schreibt und erzählt er. Trotzdem gibt der Brauseboy seine Stadt nicht auf. „Mein Lebensziel ist es, alle 40 Berlins in Nordamerika zu besuchen“, sagt er und danach weitere zehn im Rest der Welt. Gunda Bartels

Brauseboys: Sa 18.30 Uhr Zum Elefanten, Oranienstraße 12; Volker Surmann/Paul Bokowski: 23 Uhr, Tante Horst, Oranienstraße 45, Kreuzberg, Programm komplett: www.lange-buchnacht.de

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