zum Hauptinhalt
Ihre Welt. Sabeth Vilmar führt den Georg-Büchner-Buchladen in der Wörther Straße und veranstaltet schon zum 16. Mal die Prenzlauer-Berg-Literaturtage.

© Mike Wolff

Literaturfeste in Berlin: Der Boom der Kiezbuchhandlungen

Viele kleine Buchhandlungen veranstalten im Sommer Lesungen. Sabeth Vilmars hat in Prenzlauer Berg ein Festival daraus gemacht. Aber auch in anderen Kiezen gesellen sich Literaturfans zu Poetry Slams, langen Buchnächten und Dichterlesungen zusammen.

Ein sonniger Donnerstagmorgen, der Georg-Büchner-Buchladen macht gerade auf, Büchertische und Postkartenständer stehen schon draußen. Der Besitzer des arabischen Restaurants nebenan fegt den Bürgersteig und stellt Stühle raus, Radfahrer rumpeln über das Kopfsteinpflaster, Kiez-Idylle. Ab dem kommenden Sonntag wird es hier allerdings etwas trubeliger: Dann verwandelt sich die Buchhandlung wieder in das Herzstück der Prenzlauer-Berg-Literaturtage. Fast drei Wochen lesen Autoren, darunter David Wagner, Ulrike Draesner, Hanns Zischler und Eva Menasse im Laden in der Wörther Straße 16 und an anderen Orten in Prenzlauer Berg.

Kiez-Literaturfestivals in ganz Berlin

Initiatorin des Kiez-Literaturfestivals, das in diesem Mai schon zum 16. Mal stattfindet, ist Sabeth Vilmar. „16 Jahre... erst wenn ich das ausspreche, wird mir bewusst, wie lang das schon ist“ sagt die Inhaberin des Georg-Büchner-Buchladens und stellt das Tablett mit dem Milchkaffee ab. Ihr Büro hat sie links hinter der Verkaufstheke in einem kleinen Kabuff mit Chaos auf dem Schreibtisch und Blick auf die sich langsam mit Leben füllende Straße. „Die meisten Schriftsteller muss ich nicht lange überreden, beim Festival mitzumachen. Zu vielen hat sich eine Freundschaft entwickelt, einige kommen auch von sich aus auf mich zu“, sagt die gebürtige Kölnerin, die 1995 nach Berlin zog und noch im selben Jahr den Georg-Büchner-Buchladen in der Nähe des Kollwitzplatzes aufmachte. Auch in Köln hatte die Endfünfzigerin schon eine Buchhandlung geführt. Nicht lange nach der Eröffnung hier in Prenzlauer Berg hatte sie die Idee mit dem Literaturfest im Kiez, das seitdem von Jahr zu Jahr gewachsen ist. Den Charakter eines Familienfestes hat es behalten: Nicht nur die Besucher, auch die Autoren kommen meist mit der ganzen Familie.

Poetry Slams, Buchnächte und Dichterlesungen erobern die Stadt

Genau das scheint es zu sein, was Kiezveranstaltungen so beliebt macht: Nachbarn, Freunde, Familie kommen zusammen; das Nachbarschaftliche, Intime ist gerade in einer Großstadt vielen wichtig. Fast jede Kiezbuchhandlung – zumindest in den kulturaffinen Bezirken Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Friedrichshain – veranstaltet regelmäßig Lesungen, Büchernachmittage für Kinder oder Diskussionsrunden; in Bars und Clubs finden Poetry Slams und Lesebühnen statt, an jedem Abend der Woche hat man die Wahl zwischen mindestens fünf Literaturevents. Die Kreuzberger Lange Buchnacht feiert am 8. Juni in der Oranienstraße ihr 15-jähriges Jubiläum und das Poesiefestival lädt am selben Tag von Lichtenberg bis Spandau zu Dichterlesungen in insgesamt sieben Bezirken.

„Diese Fülle und Vielfalt ist toll“, sagt Sabeth Vilma. „Sie macht es aber für die einzelnen Veranstalter gleichzeitig schwierig, sich zu behaupten und nicht in der Menge unterzugehen.“ Sie selbst weiß, dass sie Glück hat: Hier in Prenzlauer Berg leben viele Literaturinteressierte, Wohlhabende, Akademiker, junge Familien, die wollen, dass ihre Kinder mehr mit Buch als mit Computer aufwachsen. Das war nicht immer so: In den Neunzigern war Prenzlauer Berg noch ein völlig anderer Ort, erinnert sich Sabeth Vilmar. Der Kiez hätte sich anders entwickeln können – und damit auch Vilmars Laden. Sie allerdings glaubt, dass man überall etwas bewegen kann; „nur müsste man es in Marzahn vielleicht etwas anders aufziehen als hier.“ Der zupackenden Buchhändlerin mit rotbrauner Kurzhaarfrisur, goldener Brille und fröhlichem Lachen würde man das glatt zutrauen. Momentan ist sie aber erst mal mit ihrem eigenen Festival beschäftigt.

Lyriker, Linke und lesende Buchhändlerinnen.

Verleihung des Prenzlauer Berg Literaturpreises steht an

Das Highlight ist die alljährliche Verleihung des Prenzlauer Berg Literaturpreises. Mit ihm sollen junge deutschsprachige Autoren und Autorinnen gefördert werden; nur wer zwischen 16 und 35 ist, darf mitmachen. „Es ist toll, gerade die jungen Leute zu erleben, wenn sie hier vorlesen: mit ihrer Empathie, auch ihrer Nervosität“, schwärmt Veranstalterin Vilmar. Dieses Jahr gab es mehr als 400 Einsendungen aus ganz Deutschland. Zu den früheren Preisträgern zählen inzwischen renommierte Autoren wie Jan Brandt, Kolja Mensing und die Lyrikerin Monika Rinck, die damals noch unbekannt waren. Viele kommen später wieder, um zu lesen oder um als Jury-Mitglieder den Nachwuchs zu begutachten. „Es ist ein schönes Geflecht aus unbekannten und bereits etablierten Autoren“, findet Sabeth Vilmar: „Die Alten fördern die Jungen.“

Bei den Veranstaltungen im Georg-Büchner-Buchladen, in der Kulturbrauerei und in der Bibliothek am Wasserturm lesen fast ausschließlich Berliner Autoren, die einzige Ausnahme bildet in diesem Jahr der Italiener Andrej Longo. Auch Lyriker wie Jan Wagner und Monika Rinck sind dabei, Lyrik finde ja heute kaum eine Plattform, auch dafür wolle sie sich einsetzen, sagt Sabeth Vilmar.

Das Open-Air-Fest, das in den vergangenen Jahren mit Verlagsständen und Lesungen auf dem Kollwitzplatz den Abschluss der Literaturtage bildete, fällt dieses Jahr aus: „All die Jahre hatten wir Glück mit dem Wetter, nur letztes Jahr war’s völlig verregnet“, sagt Sabeth Vilmar. Da sei ihr klar geworden, dass ein neues Konzept hermüsse. Vielleicht will sie sich einen Partner in der Nachbarschaft suchen, dessen Innenhof man bei Regen nutzen kann. Es gab auch schon Vorschläge, die Literaturtage mal ganz woanders stattfinden zu lassen. „Nee, nee, das sollen andere machen“, winkt Sabeth Vilmar ab. Sie bleibt ihrem Kiez treu.

Literaturtage Prenzlauer Berg, 26. Mai bis 14. Juni, Programm unter : www.literaturortprenzlauerberg.de. Georg-Büchner-Buchladen, Wörther Str. 16, Prenzlauer Berg, www.georgbuechnerbuchladen.de.

FESTIVALS

24 Stunden Buch. Vom 31. Mai auf den 1. Juni gibt es in ganz Berlin von 12 bis 12 Uhr Lesungen und literarische Events für Kinder und Erwachsene. Ein Bustransfer pendelt zwischen den verschiedenen Leseorten. Eintritt 10 Euro, ermäßigt 6 Euro, Kinderveranstaltungen sind kostenlos. www.berlinerbuchhandel.de
Poet’s Corner. In Friedrichshain, Lichtenberg, Neukölln, Spandau, Schöneberg, Prenzlauer Berg und Treptow wird es am 8. Juni poetisch: Im Rahmen des Poesiefestivals (7.-15.6.) stellen Lyriker ab 14 Uhr ausgesuchte Werke vor. Der Eintritt ist frei.www.literaturwerkstatt.org
Lange Buchnacht Kreuzberg. Von 14 Uhr bis Mitternacht wird am 8. Juni auf der Oranienstraße in Kreuzberg gelesen, am Nachmittag gibt es viele Veranstaltungen für Kinder. Der Eintritt ist frei. www.lange-buchnacht.de
Linke Buchtage. Ebenfalls in Kreuzberg wird es vom 14. bis zum 16. Juni politisch: Im Mehringhof finden 35 Veranstaltungen zu aktuellen politischen Themen statt, auch ein Programm für Kinder ist vorgesehen. Der Eintritt ist frei. www.linkebuchtage.de

IN BUCHHANDLUNGEN

Buchladen am Bayrischen Platz in Schöneberg. Hier liest die Buchhändlerin selbst: Unter dem Motto „Endlich Lesesommer“ hat Christiane Fritsch-Weith die besten Urlaubsgeschichten gesammelt. 7. Juni, 20 Uhr, Grunewaldstr. 59, Eintritt frei. www.buchladen-bayerischer-platz.de
Tucholsky-Buchhandlung in Mitte. Ilma Rakusa liest aus „Berliner Augenblicke“ und der Verein Buylocal e.V., der sich mit dem Wandel von Stadtteilen befasst, stellt sich vor. 11. Juni., 20 Uhr, Tucholskystr. 47, Eintritt 5 €, erm. 3 €. www.buchhandlung-tucholsky.de
Buchbox in Prenzlauer Berg. Bei „Brot & Bücher“ präsentieren Kiezbuchhändler alle sechs Wochen ihre neuen Lieblingsbücher, dazu gibt es was zu knabbern. Der nächste Termin ist am 13. Juni um 20 Uhr, Greifswalder Str. 33. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich. www.buchboxberlin.de
Buchhandlung Thomas Gralla in Steglitz. Der Wahl-Berliner Peter Baharov kennt „Die Wahrheit über Berlin“ und stellt sein satirisches Sachbuch im Juni vor, den genauen Termin gibt’s in Kürze auf der Homepage www.buch-gralla.de. Hindenburgdamm 42, Eintritt 5 €, ermäßigt 3 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false