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Berlin: Lob der Kärrnerarbeit

Gregor Gysi begründet, warum er gerne Wirtschaftssenator war – und will nun Wahlkampf für die PDS machen

Von Matthias Meisner

Gregor Gysis Rücktritt von allen politischen Ämtern hat ausschließlich mit seinen privat genutzten Bonusmeilen der Lufthansa zu tun – das war die Botschaft bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem plötzlichen Rückzug. Im fast vollen Saal der Bundespressekonferenz in Berlin versicherte der PDS-Politiker, die Arbeit als Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in der Hauptstadt habe ihm „inzwischen Spaß gemacht“. Es sei „dummes Zeug“ und „albern“ zu glauben, seine Entscheidung habe etwas mit seinen Stasi-Kontakten oder gar neuem Material der Birthler-Behörde zu tun.

Zwei Tage lang hatte Gysi nach seiner schriftlich verbreiteten Rücktrittserklärung geschwiegen, von seinem Feriendomizil in Märkisch-Oderland aus die Kommentare der Presse verfolgt. Gestern trat er im hellen Sommeranzug, mit offenem Hemd, vor die Presse. „Ganz gegen seine Gewohnheit sogar pünktlich“, wie PDS-Parteisprecher Hendrik Thalheim registrierte.

Ziel des Auftritts: Gysi wollte herausstellen, wie sehr er darunter leide, das Vertrauen der kleinen Leute enttäuscht zu haben. „Ich konnte mir Fehler erlauben, die andere sich nicht erlauben konnten. Aber diesen konnte ich mir nicht erlauben“, sagte er. „Ich bin über mich wahnsinnig zerknirscht.“

Amtsmüdigkeit, hohe Belastungen Gysis im Regierungsjob – selbst PDS-Politiker hätten gewisses Verständnis für solche Nöte. Der Gysi-Vertraute und PDS-Europaabgeordnete André Brie, sagte: „Berlin ist in einer katastrophalen Situation. Die Stadt muss Eigentum verkaufen, Kindertagesstätten, Kultureinrichtungen und Schwimmbäder schließen, Leute entlassen. Ich habe großes Verständnis, dass einen das als Linker zermürbt.“

Doch Gysi wollte dieses Erklärungsmuster nicht gelten lassen. „Gerade das Konkrete, die Kärrnerarbeit“, habe ihn gereizt. Und es sei ja auch nicht so, dass es in seiner Regierungsarbeit in Berlin keine Erfolge gebe. Gysi erwähnte die Rettung des Kerngeschäftes beim insolventen Papierwarenhersteller Herlitz, oder den Verkauf des defizitären Müllverwertungszentrums „Schwarze Pumpe“ bei Spremberg, das den Etat der Berliner Wasserbetriebe nun nicht mehr belaste.

Ein halbes Jahr regierte Gysi mit – und gab sich ganz zufrieden. „Kein Hahnenkampf“ mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, Akzeptanz für Rot-Rot bei der Wirtschaft, den Gewerkschaften, in der eigenen Verwaltung. „Kärrnerarbeit in Tag- und Nachtstunden brachte durchaus Erfolgserlebnisse“, sagte er. Und nannte es bemerkenswert, dass „alle führenden Sozialdemokraten“ in Berlin versucht hätten, ihn von seiner Entscheidung abzubringen. Probleme für Rot-Rot sehe er nach seinem Rücktritt kaum: „Das kriegen wir schon gebacken und gelöst.“ Zwar könne er den Zorn von SPD-Chef Peter Strieder über seine Entscheidung verstehen. Doch verwies Gysi darauf, dass er auch eigene Genossen enttäuschen musste: „Glauben sie, Harald Wolf und Stefan Liebich waren begeistert?“ Dass er dem Senat oder Berlin mit seinem Rücktritt Schaden zugefügt habe, wies Gysi zurück. „Wäre ich nicht zurückgetreten, wäre es ein größerer politischer Schaden gewesen.“

Wie schon zuvor Wowereit, betonte auch Gysi, sein Rücktritt stehe nicht in Zusammenhang mit Stasi-Vorwürfen. Auf eine neue Durchleuchtung seiner Stasi-Kontakte sei er „doch eingestellt“ gewesen. Erst jüngst hätten außerdem Hamburger Gerichte die Behauptung untersagt, er habe „wie ein“ Stasi-Mitarbeiter gearbeitet, also erst recht nicht „als“ Stasi-Mitarbeiter. „Ich weiß, dass es nicht stimmt. Es ist albern, diesen Zusammenhang herzustellen“, meinte Gysi. Und fügte hinzu: Eine neue Debatte dazu „hätte ich auch durchgestanden“, ähnlich wie die Diskussion nach der Feststellung des Bundestags-Immunitätsausschusses, der Gysis Stasi-Mitarbeit „als erwiesen“ feststellte.

Jetzt will Gysi privatisieren, aber wohl nicht lange. „Das Naheliegendste“ wäre die Rückkehr in seine Anwaltskanzlei am Kurfürstendamm. Und politische Ämter? „Ich bin und bleibe ein politischer Mensch“, sagte er. Festnageln ließ er sich nicht: „Was weiß ich, was in drei Jahren ist?“ Er wolle sich jedenfalls in den nächsten Wochen am PDS-Wahlkampf „angemessen“ beteiligen.

Noch drei Interviews gab der populärste Sozialist, der „Super Illu“, dem „Stern“ und dem „Neuen Deutschland“ – dann war er weg. Ein letztes Mal war er mit dem Dienstwagen des Senats durch die Stadt gefahren worden. „Aus Kulanz“, wie der Sprecher der Wirtschaftsbehörde sagte.

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