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Legendäres Album, legendärer Zebrastreifen. Das Beatles-Album "Abbey Road"

© picture alliance / dpa

Londoner Tonstudios eröffnen Ausbildungsbetrieb: Abbey Road in Tiergarten

Die Londoner Abbey-Road-Studios sind weltberühmt, nicht nur dank der Beatles. Nun gibt es in Berlin ein Institut für angehende Toningenieure.

Ziemlich unscheinbar wirkt das weiß gestrichene Gebäude mit der Hausnummer 3. Wären da nicht der schlichte schwarze Schriftzug „Abbey Road Studios“ über der hölzernen Eingangstür und die an der Straße für Selfies posierenden Touristen. Vor dem Musikproduktionsstudio im Londoner Stadtteil St. John’s Wood stellen sie am wohl berühmtesten Zebrastreifen der Welt das Plattencover der Beatles nach. Was die meisten nicht wissen: Das ist gar nicht der Zebrastreifen des Original-Fotos. Der befindet sich rechts vom Gebäude ein paar Meter weiter. Aber das ist den Touristen egal, hier lebt der Mythos. In den weltberühmten Tonstudios, 1931 mit der Aufnahme von „Land of Hope and Glory“ eingeweiht, haben sämtliche Musiker mit Rang und Namen schon gearbeitet, neben den Beatles auch Pink Floyd, Lady Gaga, Coldplay – man würde dusselig, wollte man alle aufzählen.

Abbey Road in Tiergarten: Hier kann man sich zum Toningenieur ausbilden lassen

Viel Mythos und vor allem: achtzig Jahre Musikgeschichte verbergen sich hinter den Mauern. Das angesammelte Wissen soll nun weitergegeben werden, und zwar in den 2015 gegründeten Abbey Road Institutes. Ab dem 7. März kann man sich in Berlin und Frankfurt am Main zum Toningenieur und Musikproduzenten ausbilden lassen. Am Donnerstag wurde im neuen Institut Tiergarten die offizielle Eröffnungsparty gefeiert. Die Kurse in den Instituten in London, Paris, Melbourne und Amsterdam haben schon im Oktober begonnen. Stolze 12000 Euro kostet die einjährige Ausbildung. Wer Vorkenntnisse hat und spontan ist, kann sich bis zum 2. März noch am Berliner Institut am Salzufer bewerben. Nach den Jahren der billig produzierten Musik am Laptop gibt es wieder einen wachsenden Bedarf am professionellen Sound – ironischerweise ausgerechnet durch den technischen Fortschritt: Je besser Streamingdienste, Kopfhörer und Datenübertragung werden, desto wichtiger wird wieder der „real sound“ der Produktion, wie ihn Studiomitarbeiter nicht ganz ohne Stolz nennen. Grund genug, sich einen der Ursprungsorte dieses ganz speziellen Klanges mal anzuschauen.

Gebrauchsspuren erinnern an die alten Zeiten

Die Lobby ist in modern minimalistischem Weiß gehalten; zum stylishen Interieur passt auch die junge Frau, die die Besucherin kaugummikauend und in schönstem Londoner Englisch begrüßt und sich als „Tamara“ vorstellt. Mit ihrem hochtoupiertem schwarzen Haar und dem dicken Lidstrich wirkt sie wie die asiatische Ausgabe von Amy Winehouse. Vielleicht liegt das aber auch bloß am Karma der Studios: Schließlich hat die 2011 verstorbene Sängerin hier ihren letzten Song „Body and Soul“, ein Duett mit Tony Bennett, aufgenommen. Und zwar in Studio 3, das – harter Kontrast zum schicken Empfangsbereich – mit den mit hellem Holz und blauem Teppich verkleideten Wänden eher an die Achtziger erinnert. Zwei ausgetretene Perser liegen auf dem Boden, auf dem einen ein mit einem Tuch abgedeckter Flügel, ein Schlagzeug auf dem anderen. Am unscheinbaren Holzklavier an der Wand hat Thomas Newman den Soundtrack zum letzten James Bond „Spectre“ komponiert, Adele den Song „Skyfall“ eingesungen. Und die meisten Songs der Beatles, lange Jahre Stammgäste des Studios, seien an diesem Klavier entstanden, sagt Tamara. Kaffeeflecken, Abdrücke von Gläsern und die Spuren ausgedrückter Zigaretten auf dem Holz erinnern an die Zeit, als hier noch geraucht und gesoffen wurde.

Die guten alten Zeiten, von denen kann vor allem Jonathan Allen erzählen. Der mehrfach preisgekrönte Toningenieur arbeitet seit 23 Jahren in den Studios. Er hat den Wutanfall von Oasis miterlebt, als ihre Aufnahme in Studio 3 vom Streichquartett nebenan unterbrochen wurde. Die Rockmusiker hätten die Verstärker so laut aufgedreht, dass man selbst auf der Straße sein eigenes Wort nicht habe verstehen geschweige denn im Nachbarstudio ein Violinkonzert einspielen können. Oder die Beatles, die den Song „Yer Blues“ statt in einem der drei Studios lieber in dem winzigen Abstellraum aufgenommen hätten, der heute voller Kabel hängt. „Das war Paul McCartneys Idee. Es waren die Sechziger und vermutlich illegale Substanzen im Spiel.“Die größten „Party Animals“ seien aber die Orchestermusiker, so Allen.

Früher war mehr Drugs and Rock'n'Roll, heute sind die Musiker effizienter

„Insgesamt sind die Musiker heute viel effizienter“, sagt Isabel Garvey, seit 2014 Geschäftsführerin der Abbey Road Studios. „Sie arbeiten sehr professionell und wollen nicht ihre Zeit verschwenden.“ Kein Wunder, ein Tag im Studio kostet 3500 Pfund aufwärts, plus Technik. Professionell und effizient, so wirkt auch Garvey. Schlank, blond, elegant und erstaunlich jung ist die ehemalige Inhaberin einer Medienberatung, die zuvor auch schon führende Positionen bei Warner und EMI innehatte. Ins Straucheln geraten seien die Studios laut Garvey nie. Weder in den wilden Siebzigern, als keiner Studio 1, das Klassik-Studio, buchen wollte, noch um die Jahrtausendwende, als Musiker ihre Songs lieber mit digitaler Technik im eigenen Schlafzimmer aufnahmen.

Kanye West hat in den Studios vor dreihundert Leuten gespielt

Die Rettung für Studio 1 war in den frühen Achtzigern die zunehmend pompöser werdende Filmmusik. Im größten Aufnahmestudio der Welt, wo sämtliche „Herr der Ringe“- und „Harry Potter“-Soundtracks aufgenommen wurden, ist Platz für ein hundertköpfiges Orchester und einen ebenso großen Chor. Kanye West hat in dem Raum mit den meterhohen Decken, der an eine Mischung aus Turnhalle und Konzertsaal erinnert, ein Live-Album vor dreihundert Leuten eingespielt. Auf dem verkratzten Parkett, original aus den dreißiger Jahren, kleben Kaugummireste und Markierungen mit Zahlen-Buchstaben-Kombis, die nur versteht, wer hier arbeitet. Die Tasten des alten Steinway-Klaviers an der Wand sind völlig vergilbt. In der Mitte des Raums beugt sich ein Mann in aufgekrempeltem Hemd und Schürze über einen Flügel und poliert dessen Innenleben mit Tinktur und Lappen.

Im Studio am Salzufer sind noch keine Spuren der Zeit zu sehen

Doch Tradition und Mythos allein reichen im 21. Jahrhundert nicht mehr, ganz ohne Kommerz geht’s nicht. Die Studios selbst sind für Touristen zwar tabu, um die hier arbeitenden Künstler nicht zu stören, aber ein Souvenir-Shop nebenan hat letztes Jahr eröffnet. Und dank einer Kooperation mit Google Maps können Fans immerhin eine virtuelle Führung durch die Studios unternehmen. Zudem will Managerin Garvey neue Geschäftsfelder für die Studios erschließen und die Marke Abbey Road weiterentwickeln. Dazu gehören neben der Förderung von Start-ups vor allem die Institute. Im Gebäude am Salzufer ist das Parkett noch unverkratzt, die Mischpulte neu, die Tasten auf den Klavieren weiß. Ob hier der Mythos fortgeschrieben werden kann? Unwahrscheinlich. Aber selbstverständlich steht auf dem Seminarplan ein Besuch in der Abbey Road Nummer 3.

Abbey Road Institute Berlin, Salzufer 15-16, 10587 Berlin, www.abbeyroadinstitute.de. Der Besuch in London fand auf Einladung des Instituts statt.

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