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Michael Müller und Raed Saleh arbeiten gut zusammen. Doch Saleh hat noch Größeres vor als SPD-Fraktionschef.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Machtkampf: Wie Raed Saleh zum zweiten Mann der Berliner SPD aufstieg

Der Regierende wirbelt die Partei durcheinander, aber ein anderer verspricht Stabilität: Fraktionschef Raed Saleh hat vom SPD-internen Machtkampf profitiert.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Auf ihn muss man schauen, wenn man wissen will, wie die Berliner SPD der Zukunft aussehen könnte. Der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, hält sich zwar diskret im Hintergrund, seit der Regierende Bürgermeister Michael Müller auch den Parteivorsitz anstrebt. Aber der 38-jährige Sozialdemokrat mischt kräftig mit im Spiel um die innerparteiliche Macht – und um die Frage, wie sich die Landes-SPD im Wahlkampf und danach aufstellen soll.

Dabei treiben Saleh viele Motive an. Zuerst einmal geht es ihm um die Stärkung der eigenen Rolle als SPD-Fraktionschef. Er will das Amt auch in der nächsten Wahlperiode ausüben, und zwar unbedrängt vom noch amtierenden SPD-Landesvorsitzenden Jan Stöß, der bei der Wahl am 18. September ein Mandat im Abgeordnetenhaus anstrebt.

Auch wenn es Stöß gelingen sollte, den Wahlkreis rund um den Alexanderplatz zu erobern, so ist er durch seinen plötzlichen Abgang als Parteivorsitzender doch sehr geschwächt. Was soll er werden in der Fraktion? Und Senator unter Müller – derzeit nicht vorstellbar. Vielleicht wechselt Stöß im Herbst 2017 in den Bundestag.

Die stabile Achse Müller-Saleh

Aus dem wackeligen SPD-Trio wird also eine vorerst stabile Achse Müller – Saleh. Das erleichtert es dem umtriebigen und kreativen Fraktionschef auch, sich mit seiner politischen Linie zu profilieren, die vom sozialdemokratischen Mainstream abweicht und eher Menschen anspricht, die von der handelsüblichen SPD-Programmatik gelangweilt sind. Das gilt gerade für jüngere Wähler, auch aus dem immer größer werdenden Kreis der Migranten mit deutschem Pass, die den schrägen Charme des 38-jährigen SPD-Mannes aus Spandau gar nicht übel finden. Jedenfalls besser als die biedere Freundlichkeit und den „Parteisprech“ des Regierenden Bürgermeisters und künftigen SPD-Landeschefs Müller.

Ein Impulsgeber ist Saleh geworden. „Wer keine Visionen hat, sollte nicht in der Politik anfangen“, sagte er am Freitag beim Frühjahrsempfang der Spandauer Sozialdemokraten. Und er warnte eindringlich vor einer Spaltung der Gesellschaft. Sein großes Thema ist die Versöhnung der Kulturen und Religionen geworden, die gerade in einer Stadt wie Berlin miteinander auskommen müssen. Er plädiert für einen europäischen Islam und findet das Kopftuchverbot für Lehrerinnen nicht in Ordnung, er will einen Staatsvertrag für Muslime und warnt eindringlich davor, die Integration von Flüchtlingen – vor allem der Kinder und Jugendlichen – zu vernachlässigen.

Die Partei soll sich für Bewegungen öffnen

Kostenlose Bildung von der Krippe bis zur Uni, auch das gehört zu Salehs Programm. Schon 2015 warnte er vor einer „tiefen Krise“ der SPD, die bundesweit ihren Kompass verloren habe. Die europäischen Erfahrungen zeigten, dass sich das Parteiensystem quasi über Nacht ändern könne. Auch für die SPD gebe es keine Bestandsgarantie, die Partei müsse sich öffnen für „Persönlichkeiten und Bewegungen außerhalb der starren Parteilogik“. Es könnte sein, dass sich Saleh damit auch selbst bewirbt.

Als er vor vier Jahren die Fraktionsführung übernahm und gemeinsam mit Stöß erfolgreich gegen den damaligen SPD-Landeschef Müller putschte, schien es zunächst nur um die Neuverteilung der innerparteilichen Macht zu gehen, zwischen den jüngeren Funktionären, die lange genug mit den Hufen gescharrt hatten. Doch im Laufe der Zeit gelang es Saleh, nicht nur als trickreicher Taktiker zu punkten, der Allianzen schmiedet und Mehrheiten zusammenkratzt. Er sorgte auch für eine gewisse Stabilität im rot-schwarzen Regierungslager, als der alte Regierungschef Klaus Wowereit wegen des Flughafen-Desasters nicht mehr zu halten war und Müller kam.

Saleh verhinderte den Bruch der Koalition

Und gemeinsam mit Stöß verhinderte Saleh im Dezember 2015 den von Müller forcierten Bruch der Koalition. Im Schulterschluss mit dem CDU-Fraktionschef Florian Graf bastelte er immer wieder an Kompromisspaketen, um die Handlungsfähigkeit des zerstrittenen Regierungsbündnisses wenigstens gelegentlich zu bewahren. „Stabilität, Stabilität“, das ist Salehs Credo geblieben. Und er nimmt für sich – trotz mancher Eigenmächtigkeiten – in Anspruch, ein verlässlicher und loyaler Partner zu sein.

Im Ergebnis ist es Saleh gelungen, seine Position im Gefüge der Berliner Regierungsmacht nachhaltig zu festigen. In der Fraktion ist und bleibt er unangefochten, im SPD-Landesverband ist er ein wichtiger Player und der SPD-Kreisverband Spandau hat seinen Vorsitzenden Saleh mit 95 Prozent der Stimmen wieder für das Landesparlament nominiert. Für den Regierenden Bürgermeister bleibt er ein zentraler Ansprechpartner, an dem Müller nicht vorbeikommt. Aber er hält auch einen guten Draht zum jetzt abgemüllerten Stöß.

Man kann nie wissen. Klar ist: Ohne die Unterstützung der Fraktion hätte der Regierende Bürgermeister die Parteimacht nicht an sich reißen können. Mit seinem Handstreich, kurz vor Beginn des Wahlkampfs, hat er den parteiinternen Widersacher Stöß zwar enorm geschwächt. Aber er hat gleichzeitig den anderen Konkurrenten Saleh gestärkt. Der wird in aller Ruhe seine Positionen weiter auszubauen und für seine Ideen werben. Und – ein Wahldebakel der SPD im Herbst wäre nicht Salehs, sondern Müllers Niederlage.

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