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Berlin: Mahnmal-Geschichte wird immer kurioser

Auf Stadtplan schon eingetragen, per Anzeige verkauft BERLIN (emv/lom/wbr).Seit fast zehn Jahren wird über das Holocaust-Mahnmal gestritten, doch eine Entscheidung ist noch immer nicht in Sicht.

Auf Stadtplan schon eingetragen, per Anzeige verkauft BERLIN (emv/lom/wbr).Seit fast zehn Jahren wird über das Holocaust-Mahnmal gestritten, doch eine Entscheidung ist noch immer nicht in Sicht.Der vorgesehene prominente Platz südlich des Brandenburger Tores bleibt vorerst eine Brache.Eigentlich sollte längst alles klar sein - doch in Senatskreisen heißt es nun, es sei sehr zweifelhaft, ob es vor der Bundestagswahl noch zu einer Einigung der Auslober kommt.Statt dessen werden die Begleiterscheinungen immer kurioser: Im Bundeskanzleramt und in der Senatskanzlei kommen ständig neue, nicht immer ernst gemeinte Vorschläge an, die Telekom hat auf ihrem gerade erst herausgegebenen Stadtplan das Mahnmal bereits verzeichnet, und in der FAZ erschien eine Immobilienanzeige, in der das Gelände zum Kauf angeboten wurde."20 000 Quadratmeter groß", "erstklassige Lage zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor", "stand bis vor kurzem einer Denkmalsnutzung zur Verfügung" - so hieß es in der Anzeige, die ein "Amt für Bundesvermögensverwaltung" aufgegeben hatte: Das Gelände des Holocaust-Mahnmals also.Doch nicht nur das Angebot war absurd.Wer den Anzeigenkopf des dubiosen Amtes genau besah, mußt bemerken, daß der Bundesadler ein gerupfter Vogel war: den Kopf um 180 Grad verdreht, ohne Schwanzfedern.Das wirkliche Bundesvermögensamt dementierte, Urheber der Annonce zu sein.Die FAZ-Anzeigenabteilung erwartete ihren verreisten Anwalt zurück und vermutete "etwas Politisches".Und die Immobilienbranche? Fast vierzig teils renommierte Firmen forderten das Exposé an - in Schöneberg, bei der "Deutsche Boden", gegen drei Mark Porto und Rückumschlag.Im Treppenhaus der Martin-Luther-Straße Nummer 127 hängen zahlreichen WG-Briefkästen, und auf einem davon ist ein frischer Zettel geklebt: Deutsche Boden Bauträgergesellschaft.Für den Postboten, damit er weiß, wohin er die Umschläge derer stecken muß, die das Mahnmalgelände kaufen wollen.Die beiden Herren in der WG-Tür tun erst ein bißchen konspirativ und werfen sich vor jeder Antwort vielsagende Blicke zu, rücken dann aber doch mit der Wahrheit heraus.Eine politische Provokation? Nein, auch keine Satire.Keine versteckte Kamera bei der Besichtigung und beim Scheinverkauf.Das Exposé, das die Immobilienfirmen erhalten, beginnt so: "Wir danken Ihnen für Ihr Interesse an dem für Deutsche Boden angebotenen Grundstück in Berlin-Mitte.Sie sind damit Teil eines Kunstwerkes geworden."Hinter der Posse stecken der Kasseler Künstler Horst Hoheisel und ein Architekt.Die zwei ärgerten sich - wie viele - über den Mahnmalsplan, und sie hatten - wie viele - auch eine Idee, wie es besser zu machen sei: Wer die Gedenkspirale überbieten will, muß sie erst einmal desavouieren.Und als Mahnmalbauer in spe sind sie auch klug und diskret genug, die aufs Glatteis gelockten Interessenten geheimzuhalten.Hoheisel will die Anfragen künstlerisch verwerten.Vorschnell war dagegen die Telecom: Auf der CD-ROM, die kostenlos zu den eben erschienenen Telefonbüchern mitgeliefert wird, hat sich der Streit ums Mahnmal bereits in Wohlgefallen aufgelöst.Der farbige Stadtplan zeigt neben dem Brandenburger Tor das Denkmal-Symbol und die Worte "für die ermordeten Juden Deutschlands."Der Deutsche Telekom-Medien-Verlag aus Frankfurt am Main, verantwortlich für Telefonbücher und CD-Roms, wäscht seine Hände in Unschuld."Wir kaufen die Software bei einer Firma ein", beteuert eine Sprecherin.Die Pietruschka-Verlag aus Rülzheim bei Karlsruhe wird als Urheber der gelösten Holocaust-Mahnmal-Debatte ausfindig gemacht."Da waren unsere Redakteure wohl zu voreilig", sagt Chef Franz Pietruska."Aber sonst sind wir manchmal kritisiert worden, weil wir nicht aktuell genug sind."Ob das Mahnmal überhaupt gebaut wird, bleibt unklar.Nachdem vor einigen Wochen noch alles auf eine baldige Entscheidung hinauslief und Bundeskanzler Kohl seine Sympathie für das Modell der Amerikaner Serra und Eisenmann erkennen ließ, schwang das Pendel wieder in die andere Richtung: Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen erklärte, die Entscheidung müsse ausgesetzt werden.Damit stehen zwei der drei Auslober - dritter ist der Förderverein - gegeneinander.Gebaut werden aber soll nur dann, wenn alle drei einer Meinung sind. Das Holocaust-Mahnmal in Berlin - was bisher geschah und was nicht:1989 fordert eine SPD-nahe Bürgerinitiative ein Mahnmal. 1990: Der Standort südlich des Brandenburger Tores wird gefunden (und 1992 festgesetzt). 1994: Im April wird ein künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben, 528 Entwürfe gehen bis Oktober ein. Im März 1995 wählt eine Kommission zwei 1.Preise; im Juni entscheidet sich die Senatsbauverwaltung für den von Christine Jackob-Marks: eine 100 mal 100 Meter große Betonplatte.Die Idee stößt auf breite Ablehnung, Kanzler Kohl legt sein Veto ein: "zu gigantisch".Die Debatte beginnt. 1996 schaltet sich der Bundestag erstmals ein und fordert "einen breiten Konsens". Nach einem Colloquium im Frühjahr 1997, zu dem Kultursenator Radunski eingeladen hatte, folgt ein zweiter, "modifizierter" Wettbewerb. Im Januar 1998 stellen die Künstler der engeren Auswahl ihre Ideen öffentlich vor.Kohl spricht sich nach einem Rundgang für Serra/Eisenman aus, obwohl die Entscheidung eigentlich erst im März fallen soll.Im Februar plädieren Prominente im Tagesspiegel für einen Verzicht auf das Mahnmal; Diepgen nennt dies einen Tag später "beachtlich".Noch Ende März hat der Senat keine Meinung.Im April fordert der Kanzler eine "schnelle Entscheidung".Bis Mai immer noch keine Entscheidung, dafür prominente Unterstützung des Entwurfs "Brandhof" zweier Berliner Studenten. Ha

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