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Mai-Krawalle: Bloß keine Stimmungsmache

Strafverteidiger werfen der Polizei vor, voreingenommen gegen linke Demonstranten zu ermitteln. Hinweise darauf gibt es auch in einer vom Senat beauftragten Studie.

Noch steht zwar nicht fest, wo genau die linksradikale Szene am 1. Mai in Kreuzberg demonstrieren will. Dennoch bereiten sich Senat, Polizei und Strafverteidiger schon auf einen turbulenten Tag der Arbeit vor. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein warnt dabei vor „Polizeiwillkür und Gesinnungsjustiz“, die Juristen hätten bei Ermittlungen gegen Linke einen „unbedingten Verurteilungswillen“ beobachtet. Im Hinblick auf die „Revolutionäre Mai-Demonstration“ in Kreuzberg befürchten die Strafverteidiger Stimmungsmache. So seien nach dem 1. Mai 2009 zu einem Angeklagten, dem außer Landfriedensbruch nichts vorgeworfen worden sei, bewaffnete Polizisten in schusssicheren Westen in den Gerichtssaal gekommen. Das martialische Auftreten solle suggerieren, dass der Linke besonders gefährlich sei.

Erst vor drei Wochen sind zwei mutmaßliche Mai-Randalierer freigesprochen worden. Ihnen wurde versuchter Mord mit einem Brandsatz vorgeworfen. Im Dezember konnten sie nach sieben Monaten die Untersuchungshaft verlassen. „Entlastende Hinweise hat die Staatsanwaltschaft nicht berücksichtigt, die Unschuldsvermutung galt nicht mehr“, sagte Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff. Nach dem 1. Mai 2009, an dem es besonders massive Krawalle gab, hatten Kritiker von „starkem politischen Druck“ auf die Justiz gesprochen. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte damals harte Strafen gefordert. Grundsätzlich, erklärte Strafverteidiger Sven Lindemann am Montag, würden Polizisten als Zeugen ernster genommen, als die Zeugen der Verteidigung. Dabei stehe in rechtswissenschaftlichen Lehrbüchern, dass sich Beamte genauso irren können wie andere Beobachter. Vor Berliner Gerichten würden Polizisten jedoch als „Zeugen erster Klasse“ gelten. Anders als viele Richter behaupteten, eignen sich Beamte aber schon deshalb nicht als neutrale Beobachter weil sie „ihre“ Ermittlungen mit einer Verurteilung zum Erfolg führen wollten. In Fachmagazinen für Polizisten gebe es Anregungen wie sich Beamte auf erfolgversprechende Aussagen vor Gericht vorbereiten könnten. Im Gegensatz zu zivilen Zeugen hätten Polizisten neben dieser „Schulungsliteratur“ auch Zugriff auf Prozessakten, um sich auf ihren Auftritt im Gericht vorzubereiten.

Umgekehrt werden Polizisten laut Lindemann selten verurteilt: 2008 hatte es mehr als 630 Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Berliner Beamte gegeben – verurteilt worden sei nicht einer. In einer vom Senat bezahlten Studie zum 1. Mai heißt es, prügelnde Polizisten bei deren Kollegen anzuzeigen, komme den Betroffenen sinnlos vor.

Um Krawalle in Kreuzberg einzudämmen, sollen der Studie zufolge mutmaßliche Störer nicht aus Menschenmengen heraus festgenommen werden. Diese Zugriffe trügen zur Eskalation bei. „Eine offensives Polizeikonzept erzeugt gerade auch bei friedlichen Demonstranten ein Ohnmachtsgefühl und wirkt eskalierend“, sagte Versammlungsrechtler Sven Richwin. Er hatte die Kreuzberger Mai-Demonstration 2009 betreut.

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