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Berlin: Managerin des Lebens

Heike Maria von Joest ist Karrierefrau und Mutter. Jetzt hat sie für die Bürgerstiftung Berlin viele neue Pläne

Wer immer noch denkt, wohltätiges Engagement sei was für Charity-Ladies im Kostüm, der sollte unbedingt mal bei der Bürgerstiftung Berlin vorbeischauen. Nach einigem Suchen hat sie eine ganz besondere Vorsitzende gefunden, gleichzeitig mitfühlend und ambitioniert, sturmerprobt und zukunftsfreudig, ideenreich und analytisch. Gäbe es einen Oscar für gelungenes Headhunting für ehrenamtliche Managerjobs, dann hätte ihn das Mitglied des ehrwürdigen Rotary Clubs Berlin verdient, das Heike Maria von Joest zur Bürgerstiftung Berlin brachte.

Mit 38 Jahren war sie bereits Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, ein absoluter Top-Job im raueren Teil der Männerwelt. Bald war sie eine zum Beispiel in Tarifverhandlungen mit der IG Metall hart erprobte Managerin, als sich ihr größter Lebenstraum erfüllte. Mit 40 Jahren lernte sie „endlich den richtigen Mann kennen“, den Wirtschaftsmanager August P. von Joest. Die Zeit war gekommen für eine eigene Familie mit Kindern. Aus Heike Maria Kunstmann wurde konsequent Heike Maria von Joest. Ende Februar 2008 ging sie bei den Metallern ohne Rückfahrkarte in den Mutterschutz, um Sohn Philip zur Welt zu bringen. Im Frühjahr desselben Jahres begann sie bei der Bürgerstiftung Berlin als ehrenamtliche Vorstandvorsitzende.

Anfangs war sie mehr als skeptisch. „Das ist nix für mich“, lautete ihr erstes Urteil. Schließlich kam sie aus einer Hochleistungswelt, wo ein Stab von 30 Leuten nur so auf Aufgaben lauerte und das Tempo hoch war. „Ich brauchte drei bis vier Vorstandssitzungen, um mich reinzufinden“, erzählt sie heute: „Wir haben uns ehrlich aufeinander zu bewegt.“ Inzwischen findet sie ihre neue ehrenamtliche Aufgabe faszinierend und herausfordernd zugleich. Bürger, das umfasse eben Menschen jeglicher Couleur, auch politisch, auch solche, die sie „nicht unbedingt zum Gartenfest einladen“ würde. Dabei lernt man ganz viel, das genießt sie offensichtlich.

Während sie erzählt, streichelt sie ihrer drei Monate alten Tochter den Bauch. Das Baby liegt auf einem rosa Deckchen und hört so still und aufmerksam zu, als begreife es schon jedes Wort. Powersprache und nonverbale Kommunikation der Mächtigen beherrscht die frühere Top-Managerin freilich immer noch: Obwohl es schwül ist, behält sie konsequent ihr dunkelblaues Jackett an.

Sie muss allerdings nicht mehr morgens um acht am Schreibtisch im Büro sitzen, sondern kann sich in ihrem Dachgeschoss in Mitte zwischen Schaukelpferd und Kinderrennwagen zu neuen Konzepten und Ideen inspirieren lassen. Vor drei Monaten kam Tochter Annie zur Welt, und die 45-Jährige empfindet es als Geschenk, sich ihren beiden Kindern intensiv widmen zu können. Ihr Sohn kam mit anderthalb Jahren in den Kindergarten, die Tochter wird ihm im gleichen Alter folgen wollen, vermutet sie. Das lässt ihr Zeit, E-Mails für die Bürgerstiftung zu bearbeiten und Fachliteratur zu lesen. Sie hat große Ziele, natürlich, bei dem Hintergrund. Früher stand ihr für Bildungsaufgaben ein siebenstelliger Etat zur Verfügung: „Heute freue ich mich über jede Spende von 50 Euro.“ Sie ist in eine andere Welt eingetaucht, blickt dankbar zurück auf die tollen und aufregenden Karrierejahre. „Aber das Allerschönste habe ich jetzt“, sagt sie. Die Kinder sind der Mittelpunkt in ihrem Leben, aber nicht der Grund, warum unter ihrer Regie die Stiftung neuerdings einen Schwerpunkt bei der Förderung für frühkindliche Entwicklung setzt.

In Charlottenburg laufe das Projekt „Spielen lernen“ wunderbar, der Bezirk stellt die Räume, das Geld kommt von Professor Kentenich, Chefarzt der DRK-Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, und für die alleinerziehenden Frauen ist es eine gute Gelegenheit, das Spielen so zu lernen, dass die Kinder dabei gefördert werden. Auch aus Neukölln hat es eine Anfrage gegeben. Da sucht sie nun einen Geldgeber, dann müssen Ehrenamtliche gefunden werden. Die promovierte Betriebswirtschaftlerin genießt die kurzen Wege in der Stiftung, in der sie selber nicht mal einen Schreibtisch hat. „Ich bin dankbar, dass ich effizientes Wirtschaften gelernt habe“, sagt sie. Schließlich gehe es darum, dass die Einnahmen der Stiftung möglichst zu 100 Prozent in die Projekte kommen. Die Lesepatenschaften nennt sie heute „unser Kerngeschäft“.

Da sie bei ihrem Dreijährigen gerade selber erfährt, wie aufwendig es ist, Kinder auf Dauer für Lektüre zu begeistern, ist sie erst recht überzeugt: „Lesepaten sind Gold wert. Davon kann es nicht genug geben.“ Ihr Ziel ist es aber nicht, die Zahl der Paten immer weiter zu steigern, sie will vor allem auch innovative Projekte verwirklichen, entdecken, wo in der Gesellschaft Not ist und dann nach Lösungen suchen, nach Menschen, die Geld oder Zeit haben, daran mitzuwirken.

„Ehrenamt muss Spaß machen“, sagt sie ganz schnörkellos. Die Menschen müssen spüren, was sie bewegen. Heute reicht es nicht mehr, wie in ihrer Position in der ersten Arbeitswelt, Anweisungen zu geben. Jetzt überzeugt sie durch Vorbild und Freundlichkeit und hat sich darin eingefunden: „Ich bin angekommen“, sagt sie. Auch wenn der Bericht, den sie beim Neujahrsempfang der Stiftung abliefert, immer noch ein bisschen nach Vorstandssitzung klingt, jedenfalls von der Tonlage her durchaus ambitioniert und hoch professionell. Dabei hat sie auch früher schon ehrenamtlich gearbeitet. Nach ihrer aktiven Phase als Leistungssportlerin in der Rhythmischen Gymnastik war sie Übungsleiterin, später, während sie bei einem Autozulieferer in München arbeitete, war sie etwa als Hochschulrätin aktiv.

Sie sei zur richtigen Zeit am richtigen Platz gewesen, ist sie überzeugt, und schwärmt von ihrem Münchner Chef, der sie hat machen lassen und von dem sie über die Freiheit Verantwortung gelernt habe. Bei den Rotariern erfüllte sie die Funktion des Sekretärs. Die Rotarier Berlin organisieren etwa die Aktion „Lesen lernen, leben lernen“. Zu Weihnachten wurden 1600 Schüler mit Büchern beschert. Man spürt ihre Freude an guten Zahlen. Die Welt aus der sie kommt, geht ein in die neue Aufgabe.

An die Bürgerstiftung will sie verstärkt Persönlichkeiten binden, die Botschafter sein können. Der Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Albrecht Broemme, gehört dazu, Hermann Parzinger, Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und natürlich der vielfältig engagierte Kulturstaatsekretär André Schmitz. Mit dem zusammenzuarbeiten ist für eine Frau, die es schätzt, wenn Gespräche konkrete Ergebnisse haben, offensichtlich ein Genuss. Schon in ihrer Zeit beim Arbeitgeberverband wurde neben der Spontaneität und ihren analytischen Fähigkeiten sowie der raschen Auffassungsgabe ihre absolute Ergebnisorientierung gelobt, wie die FAZ vor vier Jahren schrieb. Sie findet nur gute Worte, für den Schirmherren Wolfgang Thierse ebenso wie für den Gründungspräsidenten Jörg Kastl. Man müsse die richtigen Köpfe zusammenbringen – und man dürfe nicht nerven. Sie will nicht, „dass die Leute die Straßenseite wechseln, wenn sie mich kommen sehen“.

„Ich will mein Bestes geben“, sagt sie an einer Stelle des Gesprächs in ihrem hellen Dachgeschoss in Mitte. Wie sie das sagt, klingt es wie ein Lebensmotto. Gemeint sind im Moment zwar in erster Linie die Kinder, aber die Haltung hört da nicht auf. Auch deshalb ist sie für die Bürgerstiftung ein Glücksfall. Und die Bürgerstiftung für sie offenbar auch. Nach den vorsichtigen Annäherungen und auch anfänglichen Überraschungen sagt sie heute über den neuen Job: „Eine Superbereicherung.“

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