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Manfred Stolpe (78) war von 1990 bis 2002 Ministerpräsident Brandenburgs. Davor hatte er leitende Funktionen in der Evangelischen Kirche in der DDR inne.

©  Andreas Klaer

Manfred Stolpe im Interview: „Die Garnisonkirche war keine Nazi-Kirche“

Der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe über die Widerstände gegen den Wiederaufbau des Potsdamer Wahrzeichens, Ost-West-Konflikte und sein Lieblingsfleckchen an der Havel.

Herr Stolpe, gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche haben 16 000 Potsdamer unterschrieben. Kann man das einfach wegwischen?

Das darf man nicht ignorieren. Man muss sich damit auseinandersetzen.

Was ist schiefgelaufen?
Einiges, vor allem haben die Befürworter nicht genug begründet, was sie vorhaben. Wir haben den Gegnern das Feld überlassen, die alle möglichen Geschichten erzählen konnten. Das sind oft Phantombilder, die mit dem Projekt nichts zu tun haben.

Was stört Sie besonders?
In der Debatte wird nicht beachtet, dass es jetzt allein um den Turm geht und nicht um das Kirchgebäude.
Für die Gegner ist es das Gleiche.
Genau darüber muss man ernsthaft reden, weil das einen großen Unterschied ausmacht. Denn der Turm hat eine klare Funktion. Er knüpft an die frühere Heiligkreuzkapelle an, die bis zur Sprengung 1968 für Gottesdienste genutzt wurde. Und das Kuratorium verbindet mit dem Wiederaufbau den Gedanken an Versöhnung, Toleranz, Frieden. Deshalb erhält ja die jetzige Kapelle am 20. Juli auch den Namen Nagelkreuzkapelle.

Den Ansatz gab es schon 2004 einmal, als das Garnisonkirchen-Projekt Mitglied der Nagelkreuzgemeinschaft wurde. Dann verschwand die internationale Versöhnungsarbeit aus dem Programm. Ein Fehler?
Ich bedaure, dass wir das nicht durchgehalten, den Fokus zu sehr auf die Wiederherstellung des Bauwerks gelegt haben. Aber das ist Geschichte, heute sind Kuratorium und Vorstand der Fördergesellschaft wieder klar auf dem damals eingeschlagenen Weg, Gott sei Dank.

Als Haupteinwand gilt der Tag von Potsdam, der 21. März 1933, der Symbol-Händedruck zwischen Hitler und Hindenburg.
Adolf Hitler war zwei Stunden in der Garnisonkirche. Aus der gleichen Kirchgemeinde sind aber mehr als zwanzig Männer und Frauen hingerichtet worden, weil sie gegen Hitler waren. Die Garnisonkirche war keine Nazi-Kirche.

Warum setzen Sie sich für den Aufbau ein?
Ich habe Potsdam damals erlebt, das erste Mal 1959. Man sah das Stadtschloss, die ausgebrannte Fassade. Man sah, nicht weit weg, den wuchtigen Kirchturm. Der war beschädigt, aber keine Ruine. Es war ein Ort für Gottesdienste. Es ist tragisch, dass diese Kirche gegen alle Proteste weggesprengt worden ist.
Das rechtfertigt den Wiederaufbau?
Ja, es wird ja auch sonst zu Recht viel über Wiedergutmachung von DDR-Unrecht geredet. Das fällt für mich darunter. Die Sprengung der Garnisonkirche war ein Rechtsbruch, eine Kulturbarbarei, bei der vor allem eine aktive Gottesdienststätte beseitigt worden ist, gegen das Recht der freien Religionsausübung.

Wie sollte man mit der Gegnerschaft, der Skepsis in der Bevölkerung umgehen?
Es muss zugehört werden, auf beiden Seiten. Ein Trost ist, dass es auch in Dresden, als der Aufbau der Frauenkirche startete, erheblichen Widerstand gab. In Potsdam ist geduldige Kleinarbeit nötig.

Wann steht der Turm wieder?
Angedacht ist ja 2017. Das ist sehr mutig. Ich wäre glücklich, wenn es in diesem Jahrzehnt geschafft würde.

Wann folgt die Kirche?
Zunächst: Ich bin ganz sicher, dass sie kommt. Aber ich weiß nicht, wie lange die Debatten geführt werden, was mit dem Kirchgebäude inhaltlich passieren, vielleicht auch, wie es aussehen soll. Vielleicht in moderner Architektur? Der Turm, so wie er einmal war, gehört zum Bild Potsdams. Ich denke, die Garnisonkirche muss nicht originalgetreu wiederaufgebaut werden.

Warum sind die Widerstände in Potsdam gegen die Garnisonkirche so groß?
An der Debatte machen sich auch Kernfragen der Stadtentwicklung, fest. Es ist bei manchen der Eindruck entstanden, dass es ein Elitenprojekt ist, von Zugezogenen, Neureichen, Kulturspinnern, Fortschrittsfeinden. Die Befürworter, das Kuratorium, waren relativ weit weg von der Stimmungslage in Potsdam. Die ist durch Sorgen geprägt wie die: Wir wollen uns selbst wieder erkennen. Es gibt die Sorge nicht weniger Alt-Potsdamer, Fremde in der eigenen Stadt zu werden.
Geht Potsdam damit richtig um?
Ich denke, darüber muss in der Stadt noch viel mehr gesprochen werden. Man muss mehr Rücksicht darauf nehmen, dass hier oft ganz unterschiedliche Mentalitäten aufeinanderstoßen.

Sie meinen zwischen Ost und West, weil nach Potsdam so viele Menschen aus den alten Ländern gezogen sind?
Ich unterscheide zwischen Alteingesessenen und Uralteingesessenen. Bei den Alteingesessenen gibt es das Gefühl, von den Uralteingessenen nicht verstanden zu werden. Bei der Garnisonkirche habe ich das Gefühl: Das ist die Rache für die Mercure-Debatte.

"Potsdam braucht einen Rat der Weisen" {Seitenumbruch-Titel}

Manfred Stolpe (78) war von 1990 bis 2002 Ministerpräsident Brandenburgs. Davor hatte er leitende Funktionen in der Evangelischen Kirche in der DDR inne.
Manfred Stolpe (78) war von 1990 bis 2002 Ministerpräsident Brandenburgs. Davor hatte er leitende Funktionen in der Evangelischen Kirche in der DDR inne.

©  Andreas Klaer

Also für den gescheiterten Versuch, für die von Hasso Plattner gestiftete Kunsthalle das alte DDR-Interhotel abzureißen.
Was ich nicht gut fand: Man hat versucht, Hasso Plattner als Sprengpanzer gegen das Mercure einzusetzen. Man hat ihm den Mund wässrig gemacht. Er hat anfangs nicht mitbekommen, was es in Potsdam für Widerstände gibt. Er hat selbst mit den Leuten geredet und seine Schlüsse gezogen. Vielleicht täte Potsdam ein Rat der Weisen ganz gut.

Haben Sie sich schon einmal fremd in Potsdam gefühlt?
Nein, aber das mag an meinem Naturell liegen. Ich freue mich, dass wir viele Neu-Potsdamer haben, die sich sehr für die Stadt engagieren, die mehr Umdrehungen haben als wir Alt-Potsdamer. Für mich bleibt Potsdam die wichtigste, schönste Landeshauptstadt.

Man hat den Eindruck, dass die Brandenburger ihre Hauptstadt angenommen haben. Gilt das auch andersherum?
Das ist ein wunder Punkt: Potsdam dreht sich oft zu stark um sich selbst. Man vergisst dann, dass es ein Land drumherum gibt, Regionen und Orte, die es schwerer haben. Hauptstadt zu sein, ist ja auch die Verpflichtung, nicht nur den eigenen Bauchnabel zu sehen.

Was ist Ihr Lieblingsfleckchen in Potsdam?
Das ist die Insel Hermannswerder. Dort bin ich gerne, ich komme mit der Fähre rüber, fahre mit dem Fahrrad hin.

Wohin gehen Sie in Potsdam mit Ihren Enkeln am liebsten?
Die bestimmen ihr Programm neuerdings selbst. Der Große ist inzwischen historisch interessiert. Ich bin stolz, dass er in Geschichte eine Eins hat. Der Kleine will immer dahin, wo es gute Pommes gibt.

Wo gibt es die?
Das darf ich nicht verraten.

Herr Stolpe, Sie wirken diszipliniert, entspannt und entschlossen wie eh und je. Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Mir ist es gelungen, nicht ständig über die eigene Krankheit nachzudenken, sie nicht zum Lebensmittelpunkt zu machen. Das ist auch eine Frage des Gemüts. Ich habe großes Zutrauen zu den Ärzten, Respekt vor dem Bergmann-Klinikum. Ich fühle mich dort gut aufgehoben, gehe regelmäßig zu meinen Kontrollbesuchen. Im September, Oktober ist es wieder so weit. Ich bin ja gewissermaßen Zeuge für die gute Entwicklung der Medizin, der Medizintechnik. Als es bei mir losging vor zehn Jahren mit dem Krebs, da hatte ich eine Perspektive von drei Jahren. Inzwischen gibt es neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.

Das Interview führten Sabine Schicketanz und Klaus Büstrin (Mitarbeit: Thorsten Metzner)

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