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Berlin: Mann versus Müll

Kreuzberg. „Übrigens!

Kreuzberg. „Übrigens! Wussten Sie, dass das Wegwerfen von Müll ein Verwarnungsgeld nach sich zieht? Papier: DM 60,-, Dose: DM 80,-.“ Das steht schwarz auf gelb auf Aufklebern, die im Wrangelkiez und rund um das Kottbusser Tor an Laternen und Ampeln kleben. „Ich weiß allerdings nicht, ob jemals eine solche Strafe verhängt wurde“, sagt Wilhelm Breitenbürger. Er hat die Aufkleber verteilt. Auf Euro umgestellt hat er noch nicht. Breitenbürger ist Arzt, Naturheilkundler, mit Praxis im Wrangelkiez. Seit elf Jahren kämpft er gegen den Müll in Kreuzberg.

Es gibt verschiedene Versionen der Sticker, manche sind zweisprachig, deutsch und türkisch, einige belehrend: „Hier kein Müll und auch nicht anderswo“, manche eher humorvoll: „Trage deinen Müll mit Stolz in deiner Tasche. Auf den Gehweg gehört er nicht.“ Den Einwand, mit den Aufklebern selbst Müll zu produzieren, lässt Breitenbürger nicht gelten: „Sie kleben an Pfosten und fliegen nicht irgendwo herum, außerdem sind sie ästhetisch ansprechend.“

Der Wind weht Tüten und Servietten über das Pflaster, in den Pfützen weichen Taschentücher und Kippen auf. Alltag am Kottbusser Tor. „Wenn ich durch Berlin geführt würde und nur die Gehsteige anschauen dürfte, ich wüsste sofort, wann ich in Kreuzberg wäre. Der Müll hier ist unverwechselbar.“

Breitenbürger versteht sich als Ästhetik-Aktivist, nicht als Umweltschützer. Aber vielleicht ist der Unterschied auch gar nicht so groß. Ihm geht es um ein lebenswertes Kreuzberg. „Müll und Dreck machen krank und depressiv.“ Er spricht von dem Unmut, den er bei Bekannten und Patienten festgestellt hat. Einige sind weggezogen, in saubere Stadtteile. Er selbst will bleiben. „Ich mag Kreuzberg, den Landwehrkanal, die Multikulti-Atmosphäre, die vielfältigen Lebensformen.“ Er will nicht in die rechte Ecke gestellt werden. Auch wenn er den Müll unter anderem als „Mentalitätsproblem“ zwischen Deutschen und Türken ansieht.

Für ein schöneres Stadtbild kämpft der 53-Jährige schon lange. Mitte der achtziger Jahre ärgerte er sich über Häuser in seinem Kiez, bei denen der Putz abbröckelte. Er schrieb die Hausbesitzer an. „Und einige Zeit später waren tatsächlich an vielen Gebäuden Malergerüste. Da habe ich gemerkt, dass man auch als Einzelner etwas bewirken kann.“

Einzelkämpfer und Individualist, so sieht er sich selbst. Um Konventionen kümmert er sich kaum. Als Student, zu 68er Zeiten, engagierte er sich für eine humanere Medizin, später hielt er ehrenamtlich Sprechstunden in einem besetzten Haus. Wenn sich Mitstreiter fanden, gut, wenn nicht, dann machte er es eben allein. Er war Aussteiger, lebte kurz in einer Landgemeinschaft in den USA. Heute leitet er auch Selbsthilfegruppen für Männer.

1991 begann Wilhelm Breitenbürger seinen Feldzug gegen den Müll. Inzwischen hat er einen Verein mitgegründet, den „Stadtteilverein Wrangelkiez e.V.“, der sich auch für die Integration einsetzt. Natürlich hat Breitenbürger auch schon oft Leute aufgefordert, ihren Abfall zu beseitigen. Die Antworten waren meist patzig. Und er räumt selbst Müll von anderen weg, allerdings eher unauffällig: „Man gilt ja schnell als Sonderling.“

Breitenbürger holt einen dicken Aktenordner. Akribisch hat er seine Aktionen dokumentiert. Er hat mit allen Verantwortlichen der Stadt korrespondiert, Diepgen, Strieder, Wowereit, Kreuzberger Bürgermeister, Stadtreinigung, Polizei. Die Antworten signalisieren wohlwollendes Desinteresse – Standardformulierungen, Vertröstungen.

Frustrationserscheinungen? „Nein, aber ich habe gemerkt, dass man mit Nettigkeiten nichts erreicht.“ Seine neue Hoffnung sind Umwelt-Streifen, Müll-Sheriffs, die gezielt nach Abfallsündern fahnden und konsequent Bußgelder verhängen. In Frankfurt am Main wird jetzt so etwas erprobt. „Sie sollen nur auf den Müll aufpassen, nicht kontrollieren, ob jemand bei Rot über die Straße geht.“ Außerdem müsste die Stadtreinigung ihre Aktivität erhöhen, gründlicher arbeiten, auch die Gebüsche reinigen. Aber das alles steht schon in so vielen Briefen. An der Innenseite des Ordners pinnt der erste Brief an Diepgen, von 1991, als Mahnung: „Die Forderungen sind immer noch die gleichen.“

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