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Marathon: Schnelle Schritte durch Mitte

Von Suppenkellen, Teddybären und Läufern in der S-Bahn: Beobachtungen entlang der Marathon-Strecke.

Eine Welle aus knallbunter Funktionskleidung rollt durch die Stadt. 42,195 Kilometer von Nord nach Süd, von West nach Ost, irgendwas zwischen Volksfest und Geisterbahn. Vorne wird um die besten Zeiten gekämpft, hinten ums Überleben. Und hier sind die Geschichten.

Spaß? Kommt später. Wer um halb elf an der Goebenstraße in Schöneberg vorbeikommt, hat die Hälfte geschafft. Wer jetzt schon hier ist, ist ein guter Läufer, nur unwesentlich langsamer als die Spitzengruppe. Noch sehen alle aus wie aus dem Katalog: Durchtrainiert und frisch, perfekt gekleidet, das wird sich viertelstündlich ändern. Bald kommen die Hobbyläufer, die sich quälen oder zum Spaß laufen. Kostümiert sind morgens nur die Zuschauer, die fröhlich mit Kaffee und Brötchen in der Kurve auf dem Boden sitzen, die Sonne genießen und warten, dass die Anneliese endlich kommt.

Läuft doch. Der Wettbewerb um das markanteste Plakat ist eröffnet. Die Kandidaten: „Hauptsache, es läuft“ oder „Quäl dich, du Sau!“. Meist begnügen sich die Angehörigen mit einfachen Anweisungen wie „Lauf Ronny“ oder „Du schaffst das, Herbert“. Kuhglocken, Tröten, Vuvuzelas, Megaphone, Blasorchester, Samba- Rhythmen, E-Gitarren: Die Beschallung ist vielseitig und laut. Vor dem Restaurant Centolire in der Leipziger Straße haut Moreno Carusi abwechselnd mit zwei Suppenkellen auf einen umgedrehten Kochtopf, den er auf ein großes Weinfass gestellt hat. Einige versuchen mit dem Fahrrad neben den Läufern herzufahren, was nicht selten zu Zusammenstößen führt. Die Straße gehört den Läufern, die Fahrradwege den Stehern, beim Marathon gelten keine Verkehrsregeln.

Berlin bleibt bunt. Der eine hat Luftballons an sein Unterhemd geklebt, der andere Teddybären an sein Basecap. Je länger das Rennen läuft, desto ausgefallener werden die Kostüme. Ein Clown mit blauem Frack läuft mit, rote Nase und Perücke in den französischen Landesfarben. Er hält immer wieder bei Kindern an der Strecke. Er läuft schon zum 30. Mal mit, „weil die Leute mich lieben“, ruft er. „Halte durch“, steht in einem aufgemalten Herz auf seinem Rücken.

Über alle Grenzen. „Push Marc“ ist auf der britischen Fahne einer Frau zu lesen, die prompt damit wedelt und herumschreit, als Marc endlich um die Kurve biegt. Ein kurzes Winken, dann ist er schon wieder weg. Kanada, Argentinien, Schweden, Dänemark – die Hälfte der Läufer kommt nicht aus Deutschland. Jesper Emborg und seine beiden Töchter schwenken dänische Fähnchen. Sie sind aus Aalborg angereist, um ihre Mutter anzufeuern, die ihren ersten Marathon läuft. „Sie wollte unbedingt in Berlin laufen, weil sie gehört hat, dass die Stimmung hier so gut ist“, sagt Jesper Emborg. Und wie ist es nun? „Es ist fantastisch!“

"Guck mal Mama, der schummelt"

Einsteigen, bitte. Zwischen zehn und zwölf Uhr ist die Strecke kaum überquerbar, so dicht schieben sich die 40 987 Läufer über die Straße. Bleiben nur S- und U-Bahn. „Renn’, Norbert“, brüllt eine Frau und meint damit nicht etwa einen der Läufer. Ihr Mann soll sich endlich in Richtung U-Bahn bequemen, damit sie es rechtzeitig zum nächsten Anfeuerpunkt schaffen. „Wir wollen unsere Tochter mindestens dreimal sehen“, sagt sie.

Mogel-Marathon. „Guck mal, der schummelt“, flüstert ein Mädchen und zeigt auf einen Mann, der in der Tür der S-Bahn in Richtung Brandenburger Tor steht. Ihm läuft der Schweiß das Gesicht hinunter. Seine Startnummer verrät ihn, die anderen Fahrgäste tuscheln, starren ihn an. Ulf Glänzer grinst: „Klar, ich steige bei Kilometer 20 ein und mogele mich später wieder rein“, sagt er und hustet. Nein, das war ein Witz. Der 39-Jährige hat aufgegeben. „Ich war die ganze Woche krank, die Bronchien“, sagt er. Ihm fehlte die Energie auf der Strecke. „Ich hatte es geahnt.“ Als er aussteigt, schauen alle hinterher. Der wird doch nicht etwa ...

Promi-Parade. Til Schweiger, Robert Harting – wer genau aufpasst, kann so manchen Promi in Sportkleidung sichten. Auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) mischt sich unter die Laufenden. Der 35-Jährige erreicht das Ziel nach 4:08:14 Stunden.

Letzte Hilfe. Lars Brechtel ist zufrieden. Als um 16 Uhr auch der letzte Sportler im Ziel eintrifft, kann der Sportmedizinische Leiter sich über einen „sehr ruhigen Tag“ freuen. In einer ersten, vorläufigen Einschätzung sagt Brechtel: „Wir mussten nur etwa halb so oft helfen wie in den vergangenen Jahren.“ Erste Zahlen gehen von 580 Hilfeleistungen aus, davon 475 im Zielbereich. Dabei habe es sich überwiegend um muskuläre Beschwerden und Dehydrierung gehandelt. 38 Marathonteilnehmer wurden ins Krankenhaus gebracht. „Von schwerwiegenden Fällen wissen wir derzeit nichts.“

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