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Maria Brauner, sie ist weit mehr als die Frau an der Seite von Artur.

© dpa

Maria Brauner - ein Leben voll unglaublicher Geschichten: Gute Rolle

Mit ihrem Mann Artur steht Maria Brauner oft im Scheinwerferlicht. Hinter den Kulissen engagiert sie sich, seit Jahrzehnten – und zwar Tag für Tag.

So elegant stellt man sich eine engagierte Integrationsfigur normalerweise nicht vor. Maria Brauner sitzt in ihrem filmreifen rot-weißen Wohnzimmer in Grunewald und redet über eine Herzensangelegenheit. Die Ablehnung der russischen Juden, die innerhalb der Gemeinde viele Querelen verursacht hat, stört sie immens. „Sie gehören doch zu uns“, sagt sie immer wieder. „Und sie sind wunderbar integriert.“ Vermutlich ist niemand so kompetent wie Maria Brauner, das zu beurteilen. An der Seite ihres Mannes, des Produzenten Artur Brauner, spielte sie eine Glamourrolle im Gesellschaftsleben West-Berlins. Ein Vierteljahrhundert lang war sie zudem ehrenamtliche Sozialdezernentin der Jüdischen Gemeinde und engagiert sich bis heute. Als Sozialdezernentin hat sie die ersten 30 Familien betreut, die Anfang der 70er Jahre aus Russland über Wien nach Berlin kamen. „Ich konnte mit ihnen reden, sie verstehen“, sagt sie. Das hat ganz viel mit ihrer eigenen Lebensgeschichte zu tun.

Ihre Muttersprache ist Polnisch, und aufgewachsen ist sie in Lemberg, das heute zur Ukraine gehört. Ihre Eltern hatten die Stadt noch unter ungarisch-österreichischer Herrschaft erlebt. In Zeiten russischer Besatzung musste sie in der Schule blitzschnell auch noch Russisch lernen. Damals hieß sie noch Teresa mit Vornamen. Viele Freunde und Verwandte waren schon deportiert worden. Vater und Bruder wurden von den Nazis ermordet. Aber vor seinem Tod hatte der Vater mithilfe eines christlichen Freundes seine Frau und die beiden Töchter mit falschen arischen Papieren ausgestattet. Maria Drozd hieß sie fortan, ging nach Warschau, ging noch einmal zurück, um zum Überleben notwendige Wertsachen zu holen, die die Mutter bei christlichen Nachbarn deponiert hatte. Die Nachbarin öffnete ihr nicht, obwohl sie das Gesicht hinter der Gardine entdecken konnte. Stattdessen packten SS-Leute die 16-Jährige und warfen sie ins Gefängnis. Dort teilte sie die Zelle mit einer blutüberströmten Frau, die sie beschwor, auf keinen Fall ihre jüdische Identität preiszugeben. Die SS-Leute hatten es nicht der Mühe wert befunden, noch ein Protokoll anzufertigen, das war ihr Glück. Als man die Papiere bei ihr fand, brachte man sie in eine andere Zelle.

Maria Brauner sieht dankbar aus, als sie davon erzählt in der Filmproduzenten-Villa, sehr aufrecht sitzend in ihrem eleganten braunen Fischgrätjackett. Sie gab vor, illegal mit Kleidern gehandelt zu haben. Nach zwei Monaten wurde sie entlassen und ging zurück nach Warschau.

Es folgte eine Odyssee durch verschiedene Arbeitslager. In Warschau wurde sie von Kolleginnen in den Junkers-Motorenwerken als Jüdin denunziert. Der Oberingenieur bestellte sie zu sich, schonte sie aber in der, wie sie heute vermutet, heimlichen Hoffnung, dass sie später zu seinen Gunsten aussagen würde.

Immer unterschrieb sie alles, was man ihr vorlegte. „Papier ist geduldig“, sagt sie lächelnd. Trotzdem fand sie sich irgendwann zusammen mit der Schwester, die nun offiziell ihre Cousine war, in einem Viehwaggon wieder, eine Woche lang in drangvoller Enge, fast gewiss, dass es in ein Vernichtungslager ging, nach Auschwitz. Wie durch ein Wunder wurde der Zug umgeleitet, und sie landete in einem Arbeitslager im westfälischen Soest. Von da aus ging es nach Hannover, wieder ein Arbeitslager, sie fiel auf durch ihr Talent, die Kolben zu schleifen.

Weil Ausländer nicht mehr in die Krankenhäuser durften, musste sie eine Krankenstation mit aufbauen und dort Eiterbeulen aufschneiden wie am Fließband. Als der Krieg zu Ende war, wollte sie nach Warschau, die Mutter finden. Polnische Züge gab es nicht, sie fand eine Möglichkeit, auf einem russischen Zug mitzufahren. Im Zug überkam sie die Angst. „Wenn wir hier nicht abspringen, werden wir noch in Sibirien landen“, sagte sie der Schwester, als der Zug in Stettin noch einmal hielt, um auf die polnischen Gleise umgestellt zu werden. Die Mädchen sprangen ab und versteckten sich auf der Toilette. Dann sahen sie auf der Straße zwei Männer sitzen: Artur Brauner und seinen Bruder Wolf. Gegen den Rat der Schwester sprach sie die Männer an.

Das war der Beginn einer großen Liebe, die bis heute andauert. Vier Kinder und sieben Enkelkinder sind daraus hervorgegangen. „Meine Erlebnisse habe ich mehr als Abenteuer empfunden, sie haben meine Seele nie belastet“, sagt sie. Hinter ihr steht der weiße Flügel, an der Wand hängen Bilder von den Kindern, verschieden große Esstische erzählen von einem erfüllten Familienleben.

In Berlin gab es unmittelbar nach Kriegsende lange Schlangen, weil so viele Überlebende nach Amerika auswandern wollten. Maria blieb und behielt auch ihren „Talisman-Namen“, wie sie ihn nennt. Sie kümmerte sich um die Kostüme in vielen Filmen. Ende der 50er Jahre zog sie in das Haus ein, das sie hütet, weil sie es liebt. Zeitgleich begann ihr soziales Engagement in der Gemeinde. Über 60 Familienangehörige hatte sie verloren. „Du lebst so gut, solltest du nicht was für andere Menschen tun“, sagte sie sich. Möbel, die für Filmkulissen nicht mehr gebraucht wurden, gab sie weiter an bedürftige Familien. Sie begann, alte einsame Menschen zu besuchen, die sich selber nicht mehr helfen konnten. „Rollator, Rollstuhl, Bett, Friedhof“, diesen Alterungsablauf kennt sie aus vielfältiger Erfahrung. Sie selbst hat früh begonnen, etwas dagegen zu tun. Regelmäßig ist sie ins Fitness-Studio eines Freundes, bis der aufgeben musste und sie sich selber ein Studio im Keller einrichtete. Auch heute kann Maria Brauner noch glanzvoll im Abendkleid auftreten. Aber sie kann auch noch ihren Zeitplan einhalten. Jeden Morgen um 6.15 Uhr steht sie auf. Von 9 bis 12.30 Uhr arbeitet sie ehrenamtlich. Montags ist sie im Seniorenheim, dienstags im Jüdischen Krankenhaus, mittwochs im Pflegeheim. Sie ist auch Patientenfürsprecherin im Jüdischen Krankenhaus, teilt sich ein Büro mit dem evangelischen Pastor. „Wenn ich bei den Kranken bin, erzähle ich nur schöne Sachen“, sagt sie. „Ich gebe nur das Gute weiter.“ So lebt sie. Dass es in Ehen Meinungsverschiedenheiten gibt, ist ihr klar. Aber sie lehnt es ab, mit ihrem Mann zu streiten. „Ich will in Frieden leben.“

„Ohne die russischen Zuwanderer hätten wir den Kindergarten nicht erweitern und das Gymnasium nicht ins Leben rufen können“, sagt sie. Es tut ihr „unglaublich weh“ zu sehen, dass da ein Graben entstanden ist zwischen den Alteingesessenen und den Zuwanderern. Sie selbst gehört ja eigentlich zu den Alteingesessenen. Aber sie wird sich immer lebhaft vorstellen können, wie es ist, eine Zuwanderin zu sein.

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