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Berlin: Marian Bresnikar (Geb. 1980)

Perücke auf, die Lippen rot und dann: Ta Taaa!

Wenn Marian sich gut fühlt, zieht er die Schuhe aus. Ganz egal, wie der Fußboden ist, Schmutz oder gar Glasscherben kümmern ihn nicht. Er läuft auf Strümpfen. In seiner Familie haben die Männer halt heiße Füße.

Zur Welt kam er in Bielefeld als drittes Kind. Der Nachzügler weiß sich früh in Szene zu setzen. Die Freunde der beiden Schwestern unterhält er mit frischen Witzen aus dem Kindergarten. Ein Entertainer mit ausgeprägtem Hang zum Kostüm. Perücke geht immer.

Unglücklich ist er nur in der Schule. Keiner scheint ihn zu verstehen. Er fühlt sich wie ein Tropfen Öl im Wasserglas. In der neunten Klasse schwänzt er gleich drei Wochen am Stück. Er beschließt, auf eine Gesamtschule zu wechseln. Zu Hause erzählt er das erst, als alle Formalitäten erledigt sind. Endlich trifft er Gleichgesinnte und belegt die Theater-AG. Er merkt, dass er schwul ist und kann damit ganz offen umgehen. Und er entdeckt die Liebe zu Chansons mit großen Gefühlen; Bei einer Aufführung singt er Zarah Leanders „Kann denn Liebe Sünde sein“ – selbstverständlich mit Perücke und Federboa im blauen Wickelkleid. Auf seinem Führerscheinfoto, das am folgenden Tag entstand, erkennt man die Reste der Mascararänder.

Marian bewirbt sich an Schauspielschulen, ohne Erfolg. Am Theater Bielefeld bekommt er kleinere Rollen. 2004 singt er in einer Revue Robbie Williams’ „Angels“. Als die Regisseurin nach Mannheim wechselt, besetzt sie ihn dort in Cole Porters „Anything goes“.

Da ist Marian bereits nach Berlin-Neukölln gezogen. Bislang hatte er bei seinen Eltern gewohnt, nun lebt er in derselben Straße wie sein Bruder. Dass der transsexuell ist, also nicht die Tochter, als die er geboren worden war, hat Marian den Eltern wieder und wieder erklärt, so lange, bis sie es endlich akzeptierten. Von Berlin aus pendelt er zu den Aufführungen in Mannheim und Bielefeld, klappert weiter Schauspielschulen ab. Zwei Jahre lang lässt er sich mehr oder weniger gehen. Im Jobcenter forschen sie nach anderen Möglichkeiten. Marian liebt es zu kochen, für möglichst viele. Zwei Jahre Ausbildung, dann landet er in der Küche eines schicken Hotels in Mitte. Die Arbeit strengt an, aber sobald ein privates Fest ansteht, macht er das Buffet. Zu runden Geburtstagen der Eltern reist er drei Tage vorher an. Ebenfalls im Gepäck: das Manuskript zur Festrede.

Dann kommt Bernd. In einer Bar, vorletzten September, macht er ihm Platz – mit einem entschuldigenden Lächeln, so offen, als würde er ihn einladen, sein Herz zu betreten. Bernd nimmt Marian mit zu sich. Weihnachten schmücken sie ihren Baum, sehen ihn an, sehen sich an und wissen: Endlich haben sie ein echtes Heim, zu zweit.

Marian moderiert „Bäraoke“-Veranstaltungen – Karaoke für schwule, behaarte Männer, solche wie er. Einmal bringt er Bernd dazu, sich mit ihm auf eine Bühne zu stellen. Sie singen: „I put on some make-up / and turn on the tape deck / And pull the wig back on my head / Suddenly I’m Miss Midwest Midnight checkout queen.“ Als wäre es Marians Motto, besonders wenn’s ihm schlecht geht: Perücke auf, die Lippen rot und dann: Ta Taaa!

Am letzten Tag im Oktober fliegt Bernd zu Freunden nach Italien. Marian findet es schade, dass sie nicht gemeinsam zur Halloween-Party in den „Kit Kat Club“ gehen können: „Du weißt doch, wie wichtig mir Halloween ist.“

Marian schickt Bernd Fotos von seinem Halloween-Outfit aufs Smartphone. Ein paar Stunden später, nachts um vier, schreibt er ihm, dass er ihn liebt. Bis neun Uhr feiert er mit zwei Freunden weiter, überredet die Barfrau, dass er ihr einen Jägermeister ausgeben darf. Dann setzt er sich auf eine Couch und zieht seine Schuhe aus. Es scheint ihm gut zu gehen. Ein paar Minuten später hört sein Herz auf zu schlagen, einfach so.

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