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Mario Czaja, 39, ist Senator für Gesundheit und Soziales. Die Verwaltung des CDU-Politikers muss in Berlin immer mehr Flüchtlinge unterbringen. Mit Bezirken gibt es Streit um die Verteilung, vor Ort häufen sich Proteste von Anwohnern und Rechten.

© Thilo Rückeis

Mario Czaja über Flüchtlinge in Berlin: „Nicht alle verstehen den Ernst der Lage“

Sozialsenator Mario Czaja (CDU) ist für die Flüchtlingsheime zuständig. Er spricht über lange Asylverfahren, überforderte Behörden und mangelnde Hilfe des Bundes.

Herr Czaja, die Ausländerbehörde ist zusammengebrochen. Ist Berlin überfordert?

In der Tat stellt der hohe Zugang von Asylbewerbern alle beteiligten Behörden vor enorme Herausforderungen. Sie sind nur ressortübergreifend zu bewältigen.

Allein in den vergangenen Tagen sind 800 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Hat die EU, hat die Bundesregierung versagt?
Ich bin kein Freund von vorschnellen Urteilen, schon gar nicht über die deutsche oder die europäische Außenpolitik. Aber ich sehe, dass die Lage in vielen Ländern vor allem des Nahen Ostens instabiler wird. Und dass die Krise in den südlichen EU-Ländern dazu führt, dass Flüchtlinge nach Norden geschickt werden. Und in Deutschland selbst kommen besonders viele in Städten wie Berlin an.

Auch EU-Staaten haben in die Kriege in Libyen und Syrien eingegriffen – aufseiten von Rebellen. Nun zerfallen ganze Staaten. Hat der Westen die Falschen unterstützt?
Das lässt sich so einfach nicht sagen. Wichtig ist, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, um Krieg und Elend in den Heimatländern der Flüchtlinge zu beenden. Die Folgen von Flucht und Vertreibung können wir nicht in einem Bundesland lösen.Sie warten seit fast zwei Jahren auf bundeseigene Gebäude.
Der Bund unterstützt uns nicht ausreichend. Die bisherigen Angebote der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben kann ich nur so bewerten: Nicht alle haben den Ernst der Lage verstanden. Die angebotenen Gebäude sind oft so schlecht, dass sie kaum zu Wohnstätten ertüchtigt werden können. Ich habe zudem die Bundesministerien nach Personal gefragt, das uns leihweise helfen könnte: Viele neue Mitarbeiter haben wir leider nicht bekommen.

Die EU will die Seenothilfe ausweiten. Dadurch könnten Schlepper angeregt werden, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Was denken Sie? Mehr Schiffe – ja oder nein?
Eine neue Rettung nach Vorbild des italienischen Programms „Mare Nostrum“ muss her. Schleppern sollte unabhängig davon das Handwerk gelegt werden.

Was muss sich im Bund noch ändern?
Wir brauchen schnellere Asylverfahren. Noch dauern sie viel zu lange, Monate, manchmal Jahre. Auch die Asylbewerber selbst wollen schnell wissen, ob sie bleiben dürfen. Ein Problem ist, dass insbesondere Flüchtlinge vom Balkan nach Ablehnungen oft Folgeanträge stellen.

Gelten Mazedonien, Serbien und Kosovo nicht als sichere Herkunftsländer?
Ja. Meist aber kommen von dort Roma-Familien, die in ihren Heimatländern diskriminiert werden. Es gibt EU-Förderprogramme, um den Minderheiten dort zu helfen. Nur werden die Gelder nicht abgerufen. Die Sozialeinrichtungen und NGOs auf dem Balkan haben wenig Erfahrung mit der Brüsseler Bürokratie. Sie brauchen kaufmännische und rechtliche Unterstützung, die sie von deutschen Vereinen bekommen könnten. Gerade in Berlin haben nach der Wende viele Sozialexperten beim Aufbau von Projekten im Osten der Stadt ausreichend Erfahrungen mit der Brüsseler Bürokratie gesammelt.

Was macht eigentlich Ihr Parteichef, Innensenator Frank Henkel?
Frank Henkel wirbt bei den Innenministerkonferenzen und im Bundesrat darum, uns zu unterstützen. Wir arbeiten hier eng und gut zusammen.

Und die SPD? Letztes Jahr hatte Klaus Wowereit wenig Rücksicht auf ihren Vorschlag für einen Runden Tisch genommen.
Die Zusammenarbeit im Senat hat sich verbessert. Die ressortübergreifenden Arbeitsgruppen zu Flüchtlingen laufen. Es stimmt, vergangenes Jahr gab es im Senat keine Mehrheit für einen Runden Tisch mit der Opposition. Nun aber wird er in wenigen Wochen tagen. Der Runde Tisch soll wie ein regelmäßig tagender Flüchtlingsgipfel arbeiten. Die Sozialexperten aller Fraktionen werden dazu eingeladen, außerdem Sozialverbände, IHK, Handwerkskammer und Religionsgemeinschaften. Die dort diskutierten Vorschläge beziehen wir in unsere Entscheidungen ein.

Sie bauen bis 2016 neue Häuser. Doch schon 2015 brauchen Sie 9000 neue Plätze. Anbieter spekulieren auf viel Senatsgeld.
Leider versuchen einzelne Anbieter, überdurchschnittlich viel Geld am Elend der Flüchtlinge zu verdienen. Weil das Land bislang keine Häuser und Wohnungen gemietet oder gar gebaut hat, hatten die Betreiber einen gewissen Spielraum für Forderungen. Nun haben wir uns mit der Senatsfinanzverwaltung geeinigt, dass wir als Land selbst Gebäude mieten. So können wir die Betreiber besser aussuchen. Außerdem wollen wir mehr Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen.

Die Mitarbeiter im Lageso, dem zuständigen Amt, belasten Überstunden und Korruptionsvorwürfe.
Zu den Korruptionsvorwürfen: Es gab ja schon einen ersten Bericht der internen Revision. Dabei kam heraus, dass es mangelhafte Dokumentationen gab, aber sich in den Akten keine Nachweise für rechtswidriges Handeln finden. Für einen zweiten Bericht haben die Kontrolleure ausführlich mit den beteiligten Lageso-Mitarbeitern gesprochen und ergänzende Stellungnahmen angefordert. Die Ergebnisse erwarten wir bald. Außerdem checken externe Wirtschaftsprüfer die Abläufe im Lageso. Ende Mai wissen wir mehr.

Und der Arbeitsdruck?
Der ist hoch, kein Zweifel. Noch 2011 waren 60 Lageso-Mitarbeiter für Flüchtlinge zuständig. Heute sind es 150 Mitarbeiter. Allerdings kommen sechsmal so viele Flüchtlinge wie 2011. Früher hat sich ein Mitarbeiter im Monat um 300 Flüchtlinge gekümmert, heute sind es 700. Ich habe 200 neue Stellen für den Haushalt 2016/ 17 beantragt. Aus der Senatsfinanzverwaltung habe ich dazu positive Signale bekommen. Um alles zu bewältigen, haben wir 2014 auch die Task Force gegründet.

Im Lageso gibt es die Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL). Der Flüchtlingsexperte der Piraten, Fabio Reinhardt, hat im Tagesspiegel gefordert, Task Force und BUL zusammenzulegen.
Das setzen wir bereits um. Ab Mai wird die BUL ein eigenes Referat bilden. Bislang hatte die BUL zwölf Mitarbeiter, die Task Force zwischendurch ebenfalls. Zusammen waren das 24. In der neuen BUL arbeiten rund 30 Mitarbeiter. Die Stellen sind bereits geschaffen.

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