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Lehrerstreik: Mehrere Tausend demonstrieren für bessere Schulen

Gemeinsam gegen Lehrermangel und Unterrichtsausfall: Schüler, Lehrer und Eltern sind vom Rosa-Luxemburg-Platz zum Brandenburger Tor gezogen.

Von
  • Fatina Keilani
  • Sandra Dassler

Mehrere Tausend Lehrer, Eltern und vor allem Schüler hatten sich am Donnerstag um 12.30 Uhr am Rosa-Luxemburg-Platz versammelt, um für bessere Schulen in Berlin zu demonstrieren. Die Demonstranten standen in einem Meer aus rot-weißen Flaggen und grün-weißen Luftballons, auf denen die Slogans der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft GEW zu lesen waren: "Für Bessere Schulen in Berlin". Viele Schüler waren direkt nach Unterrichtsschluss zur Demonstration gekommen.

Auch die ganz Kleinen demonstrierten mit. Die Schüler einer vierten und fünften Klasse aus Lichtenberg gingen für bessere Lehrbedingungen an ihrer Schule auf die Straße. "Wir brauchen eine größere Turnhalle, mehr Räume, neue Toilettendeckel und Rasen auf dem Schulhof, weil es im Sommer immer so staubt", sagte einer der Grundschüler.

Ein Sprecher der GEW feuerte die Masse kurz vor 13 Uhr an: "Auf zum Brandenburger Tor! Zeigt Bildungssenator Zöllner die rote Karte!" Der Zug setzte sich in Bewegung, nach Angaben des Veranstalters hatten sich 5000 Demonstranten versammelt. Auch die Kreuzberger Stadtteilmütter waren darunter und forderten auf einem großen Transparent bessere Bildung für ihre Kinder.

Die Lehrerin Anke Fellmann hatte ihre Schüler und Schülerinnen gleich mitgebracht. "Wir machen heute "Unterricht am fremden Ort"", sagte die Französisch- und Geographielehrerin der Beethoven-Oberschule in Lankwitz. Im Rahmen dieses Unterrichtsmodells hält sie zwei Stunden auf der Demonstration ab. "Die Schüler sollen lernen, wie man demonstriert und politischen Protest durchführt", sagte sie. Seit drei Jahren lehrt sie an der Beethoven-Oberschule, teilweise gebe es dort Klassen mit bis zu 38 Schülern. Fellmann ging vor allem für eine bessere Ausstattung der Schulen demonstrieren: "Wir brauchen mehr Lehrkräfte, mehr Räume und besseres Lehrmaterial."

Werner Beck-Wiesinger und sein Kollege Erhard Dietrich demonstrierten vor allem für eine Wiedereinführung der Altersteilzeit und der Altersermäßigung, die es ermöglicht ab einem Alter von 60 Jahren weniger Stunden pro Woche zu arbeiten. Die beiden lehren am Oberstufenzentrum Max-Taut-Schule in Lichtenberg. "Ich bin 63 und hatte noch das Glück, in Altersermäßigung zu gehen und habe das als sehr angenehm empfunden", sagt Beck-Wiesinger. Diese wurde in Berlin mittlerweile abgeschafft. Erhard Dietrich ist 56 Jahre alt, für ihn gilt die Regelung nicht mehr. Er muss bis zur Rente voll arbeiten gehen.

Mancher wird ein Déjà-vu haben: Wenn am heutigen Donnerstag tausende Schüler, Lehrer und Eltern für bessere Schulen auf die Straße gehen, so gleichen ihre Wünsche weitgehend denen der Demonstranten von vor elf Jahren. Im März 2000 waren es 40.000, die gegen Lehrermangel, Unterrichtsausfall, die Überalterung des Kollegiums demonstrierten.

Und wie sieht es heute aus? Die Zahlen lesen sich besser, als die Lage nach Angaben der Lehrergewerkschaft GEW tatsächlich ist. Pro Schüler werden laut Bildungsverwaltung derzeit 6600 Euro jährlich ausgegeben, im Jahr 2000 waren es nur 4900 Euro. In Berlin kommen auch weniger Schüler auf einen Lehrer als im Bundesvergleich – 13,7 gegenüber 15,1. "Berlin hat aber auch besondere Problemlagen und die ärmsten Kinder Deutschlands", kontert die GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt.

Die Klassenstärken sind in den letzten Jahren gleich geblieben, der Unterrichtsausfall ist leicht gesunken. 2,2 Prozent des Unterrichts fallen aus. Der Altersschnitt der Berliner Lehrer ist eher gestiegen als gesunken, eine offizielle Zahl gibt es nicht. Die Arbeitsbelastung der Lehrer aber ist enorm gestiegen, speziell infolge der vielen Reformen seit dem Pisa- Schock, sagt die Gewerkschaft. "Die Kollegen sind sehr engagiert, aber kräftemäßig am Ende – was sich im Krankenstand niederschlägt", sagt Hartmut Schurig, ebenfalls GEW-Vorsitzender. Das produziere dann wieder Unterrichtsausfall. "Mehr Personal" lautet denn auch eine zentrale Forderung der Demonstranten. "2000 bis 2500 neue Pädagogen sollte Berlin zusätzlich haben", präzisiert Schurig. Rund 25.000 gebe es derzeit an den öffentlichen Schulen der Stadt.

Von einer Demo will sie aber nicht sprechen, denn das könnte zu Schwierigkeiten führen. Lehrer haben kein Streikrecht. Nach der letzten Aktion im April waren von 4000 teilnehmenden Lehrern fast alle zum Gespräch bei der Schulaufsicht vorgeladen worden. Die Bildungsverwaltung kündigte auch für dieses Mal Konsequenzen an. Beamte, die an einem Streik teilnähmen, hätten mit Disziplinarmaßnahmen zu rechnen, Angestellte mit Abmahnung. Sprecherin Beate Stoffers sagte: "Wir gehen davon aus, dass es keinen Unterrichtsausfall geben wird."

Drei Elternvertreterinnen und ein Schulleiter waren im Jahr 2000 die Urheber der Idee. Der Schulleiter, Hinrich Lühmann vom Tegeler Humboldt-Gymnasium, sieht die damalige Aktion als Erfolg. "Die Forderungen sind zwar alle nicht eingelöst worden", sagt er. "Aber das Gute daran war, dass es ein gemeinsames Handeln von Eltern und Lehrern gab." Vorher seien Eltern oft der Auffassung gewesen, die Lehrer seien nicht engagiert genug und hätten zu viel Ferien. Dann sei ihnen klar geworden, dass es der Staat sei, den es in die Pflicht zu nehmen gelte, und zwar gemeinsam. "Das zeigt die aktuelle Demo – dieses Zusammen-handeln-Müssen", so Lühmann.

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