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Wenn Sie von einem Berliner dumm angemacht werden, beherzigen Sie den Tipp von Harald Martenstein.

© John MacDougall/AFP

Martenstein zum CSD-Wochenende: In Berlin machen sie Dich zur Schnecke

Mit dem Berliner Lokalkolorit muss man umgehen können, schreibt unser Kolumnist. Er hat einen Tipp für Gäste parat. Eine Glosse.

Eine Glosse von Harald Martenstein

Die Kalifornierin Dana Mathewson leidet an einer Autoimmunerkrankung. In der vergangenen Woche ist sie nach Berlin gereist, um an den German Open im Rollstuhltennis teilzunehmen. Nach der Landung ließ man sie 40 Minuten im Flugzeug sitzen, das ist nicht angenehm. Dann hieß es: Ihr Gepäck sei weg, darunter Teile ihres Rollstuhls, ihre Kleidung, die Tennisausrüstung und die Medikamente. Sie wusste allerdings genau, dass ihre Sachen im richtigen Flugzeug gewesen waren und in Berlin sein mussten. Darauf hatte sie geachtet.

Sie schaffte es irgendwie zum Gepäckraum, tatsächlich befand sich in diesem Raum ihre Habe. Der Mitarbeiter sagte, laut Dana, ungefähr Folgendes: „Du bist nicht Cinderella. Du bist nichts Besonderes, kapiert? Dein Koffer ist auch nichts Besonderes. Es dauert mindestens fünf Tage, bis Du den kriegst. Hier stehen ein paar Koffer schon seit Juni herum. Jeder von euch denkt immer: Mein Koffer ist der Wichtigste. Det ist aber nich so, verstehste? Du kriegst deinen Koffer, wenn Du ihn kriegst. Tschüss.“

Dana sagte, sie brauche dringend ihre Medizin. Antwort: „Dann musste halt in die Notaufnahme.“ Dana erkannte, dass sie mit diesem Gesprächspartner vermutlich nicht zu einer Lösung ihres Problems gelangen würde und rief von der Stadt aus den Flughafen an. Natürlich ging niemand ans Telefon. Wie der Fall ausgegangen ist, weiß ich nicht. Dana ist wohl ein bisschen sauer, äußerte sich aber – eine typische Kalifornierin! – in Interviews nur sehr höflich.

"Ich werde Dir die Ohren abbeißen, du Vollpfosten"

An diesem Wochenende halten sich viele Gäste wegen des Christopher Street Day in Berlin auf. Falls Sie ein solcher Gast sind und Ihnen Ähnliches widerfährt, dann sollten Sie wissen: Manche Berliner sind einfach so, das ist unser Spirit. Falls Sie angeschnauzt werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich nicht um Homophobie handelt, sondern um Lokalkolorit. In München trinken sie Bier, in Paris essen sie Baguette, in Berlin machen sie Dich zur Schnecke. Aber das ist kein Problem, wenn Sie die Regeln kennen. Antworten Sie einfach ungefähr so:

„Ich werde Dir die Ohren abbeißen und sie am Schulterblatt festnähen, dann lernst Du fliegen, du Vollpfosten. Hast Du in letzter Zeit mal in den Spiegel gekuckt? Du bist wirklich die hässlichste Hete, die ich jemals gesehen habe. Warum arbeitest Du nicht als Quasimodo in der Geisterbahn?“ Ihr Gegenüber wird Sie überraschen. Er oder sie wird nicht zornig sein, sondern Sie umarmen und zum Bier einladen. Koffern Sie zurück! Damit schaffen Sie Akzeptanz. Wir Berliner brauchen manchmal die harte Hand, für Experten: Sei Dom, niemals Sub. Bis ins Mittelalter hieß die Stadt „BDSM“, wegen der einfacheren Aussprache hat sich dann „Berlin“ durchgesetzt.

Die nächste Kolumne von Harald Martenstein erscheint am 3. September im gedruckten Tagesspiegel.

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