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Berlin: Martina Koska (Geb. 1956)

Es klang ja auch ein bisschen wie ein Witz: Bauchtanz in Brandenburg

Gustave Flaubert brach 1849 zu einer Reise nach Kairo auf. Bis dahin hatte er nur den europäischen Paartanz gekannt, Männer und Frauen, die sich mit steifen Oberkörpern über das Parkett bewegten. Dieses Mädchen hier in Ägypten aber, Salomé, tanzte allein, „schwang ihren Bauch in wogendem Auf und Ab, ließ ihre beiden Brüste zittern“. Flaubert schrieb auf, was er gesehen hatte, und von da an sprachen die Leute nur noch vom „danse du ventre“, vom Bauchtanz.

„Richtig ist: Orientalischer Tanz“, beharrte Martina, denn immer noch klebten die Leute an diesem Wort des Romanciers. Es klang ja auch ein bisschen wie ein Witz: Bauchtanz in Brandenburg. Am Anfang, 1995, bot sie dort an der Volkshochschule einen einzigen Kurs an, am Ende reichten zehn pro Woche kaum aus. Martina entwickelte die Choreografien für die Auftritte im Stadttheater, die Brandenburger Frauen bogen sich wie Blumen im Wind, formten Wellen mit ihren Armen, die Füße trippelten im Rhythmus morgenländischer Klänge. Dabei war es nicht einfach, diese Musik überhaupt aufzutreiben, damals, als es mit dem Internet gerade erst losging. Um aber dieser Mischung aus okzidentaler Selbstsuche und orientalischem Original ein klischeefreies Fundament zu geben, fuhr sie mit den Frauen nach Kairo, nach Istanbul und auf die Halbinsel Sinai, wo sie auf Kamelen durch die Wüste ritten und im Sand schliefen.

Martina hatte immer schon getanzt, in ihren Mädchenjahren noch unter der Aufsicht eiserner Ballettmeister, ein Bein gestreckt, das andere gebogen, die Füße in Standardposition, und obwohl es der Wunsch ihrer Mutter gewesen war, liebte sie den Tanz, auch wenn sie erst Jahre später verstand, dass sie sich zwangloser, auch mit den Hüften, dem Bauch, den Schultern, bewegen wollte. Lange war sie den Wünschen der Mutter gefolgt, die immer geglaubt hatte, mehr vom Leben erwarten zu dürfen, die mit ihrer Tochter von Berlin nach Warendorf, nach Wilhelmshaven, ins Saarland, nach Innsbruck gezogen war, von einem Scheitern zum nächsten, bis Martina nicht mehr mitwollte und zurück zu ihrem Vater nach Berlin ging. Sie studierte Jura und schmiss es hin nach dem Ersten Staatsexamen, sie entdeckte die Sozialpädagogik und einen jungen Mann, der begriff, wie viel Energie, wie viele Träume in ihr steckten, und der sie begleitete, auf allen Wegen: als sie wieder begann zu tanzen; als sie zwei Kinderläden gründete; als sie das Haus im Fläming fand, eine Ruine ohne fließend Wasser, das sie ausbauten und in das sie irgendwann ganz zogen; als sie sich drei Pferde kaufte und aufs Neue anfing zu reiten, wie früher in ihren Kindertagen; als sie einen Fantasy-Roman über Frauen mit blauen Haaren schrieb; als sie den ersten Sohn bekam, Johannes, und den zweiten, Karl.

Karl sollte zur Welt kommen, die Hebamme war reizend, entspannen Sie sich, atmen Sie aus, was für ein schöner Tag heute ist! Das Kind zeigte sein Köpfchen, seinen Körper. Etwas stimmte nicht, Karl sah irgendwie anders aus. Martina schaute sich im Raum um, von der Hebamme war nichts zu sehen. Sie hatte schnell begriffen, dass der Tag doch nicht ganz so schön werden würde. Denn Karl kam mit dem Down-Syndrom zur Welt. Martina erschrak, keine Frage, was wusste sie schon übers Down-Syndrom? Aber in ihren Armen lag ihr Kind, ihr kleiner Karl, mit der weichen Haut, dem seidenen Haar. Doch, der Tag war schön.

Martina liebte dieses Leben, ihr Leben, ihre Söhne, ihren Mann, das Haus, die Wiesen und Koppeln darum, den Tanz, die Bücher, die Reisen, selbst die Gespenster der Vergangenheit hatten sich in ihre Winkel verzogen. Manchmal schmerzte der Rücken ein wenig, ich werde eben älter, dachte sie. Doch so ist der Krebs, er blendet, setzt sich eine harmlose Maske auf, um sie dann, zum Schrecken aller, herunterzureißen. Martina starb am 8. Januar 2015.

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