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Ohne Überblick. Der Einsatz vom Sonnabend in Marzahn verlief ganz und gar nicht so, wie es sich die Polizei gedacht hatte. Das Trennen der verfeindeten Parteien funktionierte nicht.

© Christian Mang

Marzahn: Protest gegen Flüchtlingsheim: Kritik an Polizeieinsatz und neue Demo

Nach der Chaos-Demonstration vom Wochenende ruft die „Bürgerbewegung Marzahn“ für Montagabend erneut zum Protest auf. Der Polizeieinsatz am Sonnabend wird kritisiert – er sei völlig aus dem Ruder gelaufen. Auch im Abgeordnetenhaus wird der Einsatz Thema sein.

Die Nachricht wurde um sechs Uhr früh auf Facebook veröffentlicht: Auch am heutigen Montagabend will die „Bürgerbewegung Marzahn“ unter dem Motto „Nein zum Containerdorf“ demonstrieren. Die Initiative erwartet 800 Teilnehmer, die Polizei bestätigte am Sonntag die Anmeldung. Protestkundgebungen gegen die Demo waren am Sonntag noch nicht bei der Polizei angemeldet worden, dies dürfte am Montag geschehen.

Wie berichtet, hatte es am Sonnabend in Marzahn Auseinandersetzungen zwischen Wohnheimgegnern und -befürwortern gegeben. Drei Stunden lang hatten bis zu 2500 Menschen verhindert, dass die für 14 Uhr angesetzte rechte Demo starten konnte. Die 800 Heimgegner froren auf der Raoul-Wallenberg-Straße, eingekesselt von Polizisten und umkreist von Gegnern, darunter mehrere hundert gewaltbereite Autonome. Diese blockierten alle entscheidenden Straßen in der Umgebung, die meisten auf der ursprünglich geplanten Wegstrecke. Erst gegen 17 Uhr entschied sich die Polizei zu einem Trick: Die Rechten durften starten, mussten nach 100 Metern auf der nächsten Kreuzung auf Anweisung der Polizei jedoch kehrtmachen und die Raoul-Wallenberg-Straße zurücklaufen. Während dieser 180-Grad-Wende stürmten jedoch, von der Polizei ungehindert, mehrere hundert gewaltbereite Autonome und Antifas heran – und waren nun direkt an der rechten Demo. Die aufgestellten Gitter waren auf 100 Metern einfach umgeworfen und übersprungen worden. Anschließend begleiteten die Linken die gut ein Kilometer lange Demo der Heimgegner, von ihr getrennt nur durch eine dünne Polizeikette. Beide Seiten bewarfen sich mit Flaschen, Linksextremisten warfen zudem schwere Böller.

Das Trennen beider Lager gehört zu den Grundprinzipien der Polizei. Dass es am Sonnabend trotz der mehr als 1000 eingesetzten Beamten nicht gelungen ist, zeigt schon die große Zahl verletzter Polizisten: 22. Drei von ihnen mussten vom Dienst abtreten, einer von ihnen hatte ein schweres Knalltrauma durch einen von linken Demonstranten geworfenen Polenböller erlitten. Ungehindert konnten Autonome während des kurzen Marschs zum S-Bahnhof einen Glascontainer öffnen, um an Flaschen zu gelangen, die dann auf die rechten Demonstranten geworfen wurden. Einen Kilometer liefen beide Gruppen völlig parallel, immerhin die Linken auf der linken Fahrbahn, die Rechten auf der rechten. Erst kurz vor dem Bahnhof gelang es der Polizei, den autonomen Block zu stoppen.

Beide Seiten erhoben am Sonntag schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Die „Bürgerbewegung Marzahn“ kritisierte, dass die Polizei „versuchte, durch absolut wirres Taktieren die Gegendemonstranten auszutricksen“. Die Initiative  verstieg sich auf ihrer Facebook-Seite zu dieser Behauptung: „Der Staat benutzt Linksextremisten als Waffe gegen das eigene Volk.“ Angeblich sei ein Kind im Demonstrationszug der Heimgegner durch einen Stein schwer verletzt worden, es liege im Krankenhaus. Die Polizei konnte das nicht bestätigen. In einer weiteren Mitteilung wird eine Klage gegen den Einsatzleiter der Polizei angekündigt, dem „völliges Versagen“ vorgeworfen wird.

Der missglückte Einsatz ist jetzt Thema im Innenausschuss

Auch von linker Seite kam Kritik: „Ich konnte die Polizei auf Vermummungen hinweisen, wie ich wollte“, ohne dass die Beamten eingeschritten seien, twitterte der Piraten-Abgeordnete Oliver Höfinghoff. Er zeigte ein Pressefoto, auf dem sich mehrere Teilnehmer der rechten Demo Tücher vors Gesicht gezogen hatten.

Die grüne Abgeordnete Canan Bayram, die bis in den Abend hinein in Marzahn war, sagte, dass „keine Strategie zu erkennen war“. Es sei ein Wunder, dass nicht mehr passiert sei, wenn beide Lager „nur drei, vier Schritte auseinander sind“. Schließlich habe „nur noch das Chaos regiert“, die Polizei habe den „Überblick verloren“, sagte die Abgeordnete, die selbst fast Opfer des polizeilichen Reizstoffsprühgeräts wurde. Der Einsatz werde Thema des heutigen Innenausschusses im Abgeordnetenhaus sein, sagte Bayram. Zudem wollen Linke und Piraten über das Thema „Rassistische Mobilisierung gegen Flüchtlinge und Umgang der Polizei mit rechten Aufmärschen und zivilgesellschaftlichen Gegenprotesten“ sprechen.

Linksextreme veröffentlichen Adressen rechter Marzahner Aktivisten

Auf dem Weg zurück. Die rechten Demonstranten.
Auf dem Weg zurück. Die rechten Demonstranten.

© Kietzmann

Am Sonntagabend sah sich die Polizei dann mit einer weiteren für sie unangenehmen Folge der Demo konfrontiert: Auf einer linksextremistischen Internetseite wurden am Sonntagabend die Namen und exakten Adressen mehrerer Marzahner Rechtsextremisten veröffentlicht. Als Quelle wird ein Notizbuch eines Zivilpolizisten angegeben, das dieser am Sonnabend auf der Demo "vergessen" haben soll. Zu den fünf Personen - Hauptakteuren der derzeitigen Marzahner Demoserie -  werden zudem einige angebliche polizeiinterne Informationen genannt. Wie Polizeisprecher Stefan Redlich am späten Abend sagte, sei der Beitrag bekannt und werde geprüft. Die dort genannten Abkürzungen seien allerdings bei der Berliner Polizei unüblich.

Grüne Abgeordneten fordert Dialog mit wütenden Bürgern

Die gerügte Taktik vom Sonntag kommentierte das Präsidium nicht. Ein leitender Beamter meinte am Samstagabend nach Ende der Demo entnervt: „Über den Einsatz unterhalten wir uns jetzt lieber nicht“ – und rollte mit den Augen. Ein demonstrationserfahrener Fotograf kommentierte spontan so: „Das hätte Tote geben können.“ Das sah wohl auch die Polizei so: Über Funk waren alle „ungeschützten Kräfte“ aufgefordert worden, den Gefahrenbereich zu verlassen.

Am Donnerstag werde sich das Parlament auch im Plenum mit dem Thema beschäftigen müssen, sagte Bayram. Die Containerheime dürften den Menschen nicht einfach vor die Haustür gesetzt werden: „Es muss einen Dialog zwischen Staat und Bürgern geben.“ Gerade im Ostteil der Stadt löse dieses Vorgehen Wut aus. „Da braut sich etwas ganz Unschönes zusammen“, prophezeite Bayram.

Am heutigen Montag wohl wieder ab 19 Uhr.  Die Demo soll an der Ecke Blumberger Damm / Landsberger Damm beginnen und dort nach einem mehrere Kilometer langen Marsch auch wieder enden.  Auf einem dortigen Brachgrundstück plant Gesundheitssenator Mario Czaja – wie in anderen Bezirken auch – den Bau eines Flüchtlingslagers aus Containern.

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