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Berlin: Masern nach der Notaufnahme

In der Charité soll sich ein Kind angesteckt haben – bei einem Arzt. Wie kann das verhindert werden?

Ein Oberarzt der Charité soll ein zehn Monate altes Baby bei einer Untersuchung in der Klinik mit Masern angesteckt haben. Das wirft der Vater des Mädchens dem Klinikum vor. Ob er die Charité zu Recht beschuldigt, wird sich nicht eindeutig klären lassen, sagen Experten. Doch angesichts des aktuellen Masernausbruchs in Berlin wirft der Fall die Frage auf, inwieweit Krankenhäuser bemüht sind, solche Ansteckungen durch ihr Personal vorsorglich zu vermeiden. Es geht darum, wie überprüft wird, ob Ärzte und Pfleger einen Impfschutz gegen die hochansteckende Viruserkrankung haben. Oder ob sie bereits nachweislich an Masern erkrankt waren, was in der Regel zur Folge hat, dass man lebenslang immun ist.

Ein Ende der Masernepidemie ist nicht in Sicht. Seit Anfang des Jahres haben sich 338 Berliner infiziert. In dieser Woche kamen 40 Fälle hinzu. In Ostwestfalen ist vor wenigen Tagen ein 14-Jähriger an den Spätfolgen von Masern gestorben.

Bei dem vor 1970 geborenen Oberarzt verließ sich die Charité auf dessen Aussage, dass er als Kind Masern durchgemacht habe, also kein Überträger mehr sein könne. Offenbar war die damalige Erkrankung eine Fehldiagnose. Am 9. April dieses Jahres wurde bei ihm eine Maserninfektion festgestellt. Marcus M. aus Zehlendorf, der Vater des Babys, hatte seine Tochter zuvor am 31. März wegen einer Erkältung in der Charité-Rettungsstelle vorgestellt. Er habe darauf hingewiesen, dass bei dem Kind wegen einer vorangegangenen Herzoperation ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe. Dennoch sei ein Arzt mit Mundschutz erschienen, der erklärt habe, er sei stark erkältet. Nach Darstellung der Charité bestand bei dem Oberarzt zu diesem Zeitpunkt nur „eine leichte Erkältungssymptomatik“. Zwei Wochen später bekam die Kleine die Masern, die Inkubationszeit beträgt zehn bis 14 Tage.

Von der Infektion des Arztes erfuhren die Eltern „eher zufällig“. Auch das ärgert sie. Die Charité kontert, sie habe den Fall dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet, zu mehr sei sie nicht verpflichtet. Und mit Verweis auf die Masernepidemie in Berlin argumentiert die Klinikleitung, es sei „nicht auszuschließen, dass sich das Kind auch durch eine andere Person angesteckt haben könnte“. Zudem halte man sich streng an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Institutes. Nach dieser Richtlinie sollten nur alle Menschen, die nach 1970 geboren sind, auf ihren Impfstatus hin überprüft und gegebenenfalls nachgeimpft werden. Für Mediziner gibt es keine schärferen Empfehlungen.

Die für das Jahr 1970 gezogene Grenze trifft auf den Charité-Oberarzt zu. Hintergrund ist, dass der Masernimpfstoff erst seit Beginn der 70er Jahre zur Verfügung steht. Vorher hatte das Virus 95 Prozent der Bevölkerung meist schon im Kindheitsalter erwischt. Wegen dieses hohen Anteils sieht die Stiko ein äußerst geringes Risiko bei Menschen, die in der Zeit ohne Impfstoff aufgewachsen sind. Die Experten gehen davon aus, dass in dieser Altersgruppe nahezu jeder durch eine Infektion Antikörper gebildet hat.

Seit Januar sind jedoch laut Gesundheitsverwaltung mehrere Berliner erkrankt, die vor 1970 geboren wurden. Hinzu kommt, dass auch die Aussage, man habe als Kind Masern gehabt, nicht absolut zuverlässig ist – wie das Beispiel des Charité-Mediziners zeigt. Als Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) von dem Fall des Charité-Babys erfuhr, fragte er im Klinikum schriftlich nach.

Der Leiter des Arbeitsmedizinischen Zentrums der Charité, Harald Bias, sähe es es als hilfreich an, wenn die Impfkommission auch die Jahrgänge vor 1970 in ihre Empfehlung aufnehmen würde. In der Folge wäre es einfacher, auch bei dieser Gruppe vorsorglich Impfungen oder Immunitätstest durchzuführen. Bislang halte man sich an die gültigen Empfehlungen, weil ein eigenmächtiges Handeln problematisch sei. „Kommt es nach einer Impfung zu Komplikationen, sind wir durch keine Richtlinien gedeckt.“ Ohnehin können Ärzte und Pfleger in Deutschland nicht gezwungen werden, sich gegen Masern oder andere Infektionen impfen zu lassen. Im Gegensatz zur Praxis in den USA besteht für sie wie für die gesamte Bevölkerung keine Impfpflicht.

Das Robert-Koch-Institut teilt mit, man habe den Fall des Babys und die Masernepidemie im Blick und denke über eine Erweiterung der Impfempfehlung nach. Konsequenzen aus „extremen Einzelfällen“ müssten aber gut abgewogen sein. Unterdessen handelt der Berliner Klinikkonzern Vivantes risikofreudiger als die Charité. Angesichts des Masernausbruches werden in „besonders gefährdeten Bereichen“ wie der Notaufnahme, Intensivstation oder in Kinderstationen auch die Jahrgänge vor 1970 auf ihren Impfstatus überprüft und falls nötig geimpft, sagt die Leiterin des betrieblichen Gesundheitsschutzes bei Vivantes, Genia Diner.

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