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Mauer in der Friedrichstraße: Vor dem Fall

Seit einem Monat teilt die Mauer der Künstlerin Nada Prlja die Friedrichstraße Viele Anwohner und Geschäftsleute ärgern sich darüber – und könnten jetzt das Ende herbeiführen.

Berlin - Die „Peace Wall“ an der Friedrichstraße könnte schon vorzeitig fallen. Die zwölf Meter breite und fünf Meter hohe Mauer bringt Anwohner und Gewerbetreibende in Rage, weil das Kunstprojekt in Sichtweite des Checkpoint Charlie den Kiez schon wieder teilt. Von Anfang Mai bis zum Ende der Biennale am 1. Juli sollte das umstrittene Kunstwerk der Mazedonierin Nada Prlja stehen bleiben. Doch nun könnte es schon früher abgebaut werden, wenn die Künstlerin offiziell zustimmt – oder auch, wenn Anwohner eigenmächtig vorgehen. „Einige Leute sind sehr aufgeregt. Das ist für sie kein Spiel, keine Kunst, da geht es um ihre Existenzgrundlage“, sagt Mateusz Hartwich, der Unternehmer in der Interessengemeinschaft Friedrichstraße vertritt. Da die Mauer die Straße an der Ecke Besselstraße versperrt, könnten viele nicht mit dem Auto zu den Geschäften fahren. Umsatzeinbußen von bis zu 40 Prozent seien die Folge. Hartwich sieht eine steigende Gefahr, dass die Mauer über Nacht fällt. Einige Bretter wurden bereits entfernt, doch besteht das Werk auch aus Wellblech und schweren Steinen. „Sonst wäre es schon längst weg“, ist sich Hartwich sicher. Die „Peace Wall“ soll eigentlich weniger an die Berliner Mauer erinnern, sondern vielmehr an die sozialen Unterschiede in der Stadt – und an der Friedrichstraße. Im Norden der Straße dominieren Luxusgeschäfte das Bild, in den Hochhäusern am südlichen Ende leben vielfach sozial schwächere Bewohner. Biennale-Sprecher Denhart von Harling meint, die Mauer sei für die Probleme der Menschen da. „Deswegen ist es auch in Ordnung, wenn die Geschäftsleute das jetzt selbst in die Hand nehmen.“ Man rechne mit der Möglichkeit, dass die Mauer nicht bis Juli stehen bleibt. Viele Anwohner sind erbost. „Der Müll muss weg“, schimpft Marie Voß, die mit ihrem Mann direkt an der Mauer wohnt. „Wir haben die Friedrichstraße jahrzehntelang mit zwei Mauern erlebt. Jetzt sind sie endlich weg – und dann kommt irgendeine Künstlerin und stellt so einen Dreck hierhin“, sagt der 87-jährige Hans Voß. „Meine Frau ist schwerbehindert. Ich kann sie nicht mehr mit dem Auto holen“, beklagt er. Anwohner Martin Zist hingegen freut sich über die Verkehrsberuhigung. Auch hat er schon viele Menschen kennengelernt im Gespräch über die Gentrifizierung. „Damit hat die Mauer ihren kommunikativen Zweck voll erfüllt.“ Das Ehepaar Voß beklagt sich, dass es als arm klassifiziert wird, dabei sei die Miete in dem südlichen Teil gar nicht billig. Den Arm-Reich-Gegensatz kritisiert auch Florian Schmidt, der das Projektbüro Kreativquartier Südliche Friedrichstraße leitet. Durch die Mauer sei die Gegend rund um den Mehringplatz als soziales Ghetto stigmatisiert worden. Ein weiteres Problem: Die Akteure vor Ort waren nicht gefragt worden. „Die Einbindung der Gewerbetreibenden war null, die Planung war desaströs“, sagt Schmidt. Hier werde auf Kosten der Menschen Kunst gemacht. Das funktioniere vielleicht drei Tage, aber nicht länger. „Die Idee war gut, aber das entwickelt sich nun zu einem Bumerang.“ Künstlerin Nada Prlja möchte die Mauer erst abreißen, wenn sie sich mit den Menschen in der Friedrichstraße auf konkrete Forderungen an die Politik geeinigt hat. Am Sonntag und Montag saß sie vor der Mauer, um mit allen zu reden. Ihr Gesprächsangebot sei allerdings kaum angenommen worden. „Die Mauer hat die Kraft, etwas zu ändern. Wenn sie weg ist, werden die Probleme noch da sein.“ Um 19 Uhr kann man heute an der „Peace Wall“ über einen Monat Mauer mit Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) diskutieren.

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