zum Hauptinhalt

Berlin: Mehr als ein Ausrutscher

Der Winter kam mit Blitzeis ohne Warnung. Die Feuerwehr hatte Stress und schimpft auf den Wetterdienst.

Als die Unwetterwarnung kam, lagen Hunderte schon auf der Nase. Der Eisregen zog ab etwa neun Uhr morgens von Osten her über die Stadt. Die Warnung per SMS über das System Katwarn kam am Montag jedoch erst um 10.35 Uhr: „Extremwetterlage, gültig ab sofort. Zu Hause bleiben.“ Die Feuerwehr hatte schon um 9.30 Uhr den Ausnahmezustand ausgerufen und zusätzliche Rettungswagen mit Personal besetzt. Bis 16 Uhr zählte die Leitstelle etwa 700 Sturzverletzungen. An einem normalen Tag gibt es insgesamt 1100 Einsätze in 24 Stunden; am Montag waren es kurz nach 22 Uhr schon 2100. Die Charité meldete für ihre drei Rettungsstellen 200 Glättepatienten bis17 Uhr. Das sei Rekord. In anderen Krankenhäusern war es ebenfalls voll wie selten. Auch die Zahl der Verkehrsunfälle vervielfachte sich rapide: Von 7 bis 8 Uhr früh waren es 29, von 8 bis 9 Uhr 133, und von 10 bis 11 Uhr gab es mit 209 Unfällen den Höhepunkt. Nach kurzer Beruhigung stieg die Zahlen am Nachmittag noch einmal auf fast 200 pro Stunde und sank erst nach 18 Uhr deutlich.

Bei der Feuerwehr hieß es, dass der Deutsche Wetterdienst (DWD) völlig versagt habe. So habe die Behörde die um 8.12 Uhr an die Feuerwehr verschickte Wetterwarnung um 8.52 Uhr wieder aufgehoben und erst um 11.04 die nächste Warnung gesandt. Deshalb habe die Feuerwehr die Katwarn-SMS „per Hand“ ausgelöst. Eigentlich soll dies automatisch erfolgen. Der DWD versicherte gestern, dass eine Minute nach der Aufhebung eine weitere E-Mail an die Feuerwehr gegangen sei mit einer verschärften Warnung. Wieso diese bei der Feuerwehr nicht ankam, blieb unklar. Möglicherweise wurde die E-Mail unglücklich „überschrieben“, sagte der Sprecher der für Berlin zuständigen DWD-Niederlassung in Potsdam, Thomas Endrulat. Heute wollen sich Meteorologen und Feuerwehr treffen, um die Probleme auszuwerten. Schon beim Sturm „Xaver“ Anfang Dezember habe der DWD zu spät gewarnt, kritisierte die Feuerwehr.

Gegen 21 hob die Feuerwehr den Ausnahmezustand auf. Tagsüber hatten viele Einsätze nicht oder nur mit großem Zeitverzug mit Rettungswagen beschickt werden können. Verletzte wurden auch mit Löschfahrzeugen oder Drehleiterwagen ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte mussten neben Brüchen auch Sprunggelenksverletzungen, Bänderdehnungen und Platzwunden am Kopf behandeln.

Außer auf der Straße gab es kaum Probleme im Verkehr. Lars Wagner, Pressesprecher der Flughäfen, sagte, dass es nur geringe witterungsbedingte Verspätungen gebe. Das Streuen der Start- und Landebahnen und das Enteisen der Tragflächen startender Flugzeuge funktioniere gut. Bei der Bahn gab es keine Probleme mit dem Wetter, die Züge fuhren pünktlich. Die BVG warnte mit Durchsagen der Leitstelle alle Fahrgäste, beim Verlassen der Bahnhöfe und auf oberirdischen Bahnsteigen vorsichtig zu sein. Auch die S-Bahn blendete Glatteiswarnungen auf ihren Anzeigen ein. Verspätungen wegen glatter Straßen gab es bei den Bussen.

Heftig traf es allerdings die U 1: Wegen eines Kabelschadens war ab 11.22 Uhr der Verkehr auf der Linie zwischen Warschauer Straße und Kottbusser Tor eingestellt. Von 13 bis 17 Uhr fuhren die Züge bis Schlesisches Tor. Der Ausfall habe vermutlich nichts mit dem Eisregen zu tun, hieß es. In der Nacht zu Dienstag verschärfte sich das Glatteisproblem mit feinem Nieselregen bei Frost noch weiter. Grund für dieses ungewöhnliche Phänomen ist nach Auskunft des Wetterdienstes Meteogroup eine warme Luftschicht ab etwa 900 Meter Höhe, durch die der Regen auf den von Frostluft und Wind ausgekühlten Boden fällt. Über Nacht sollte es sich aber auch in der Höhe abkühlen, so dass der Regen Dienstagfrüh in Schnee übergeht: „Beim Frühstück dürfte es draußen weiß werden“, hieß es. Zum ersten weißen Hauch soll tagsüber weiterer Schnee kommen, so dass Berlin samt dem Glatteis unter einer weißen Decke verschwindet.

Erst am Mittwoch klart es allmählich auf. Und dann wird es richtig kalt. Am Donnerstag und Freitag seien tags – bei strahlendem Sonnenschein – höchstens minus fünf und nachts minus zehn Grad absehbar. Bis zum Wochenende soll es freundlich und frostig bleiben.Jörn Hasselmann / Stefan Jacobs

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false