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Berlin: Mehr Mitte gab es nirgends

Es war Ost-Berlins zweites Interhotel: 331 Zimmer, ein Restaurant, in dem man auf die Freunde aus dem Westen warten konnte Bis heute ein beliebtes Haus in zentraler Lage. Ende Februar verlässt der letzte Gast das Hotel Unter den Linden. Es wird abgerissen

„Bis zum Ende des Monats können Sie noch bei uns wohnen, aber dann ist Schluss. Das Haus wird abgerissen.“ Der Portier wird ganz melancholisch, wenn er den Gästen des Hotels Unter den Linden die schwere Tür mit dem goldeloxierten Rahmen aufhält. Die Frau an der Rezeption mag die Frage, was denn ab März aus ihr wird, überhaupt nicht mehr beantworten. Sie unterdrückt die Tränen, indem sie sich abrupt dem nächsten Gast zuwendet. Und in der Direktionsetage scheinen die Nerven blank zu liegen: Hier sind alle Münder fest verschlossen, wenn es um Auskünfte über die Zukunft der Belegschaft geht. Man hat sich entschieden, nicht mit allen Medien zu sprechen. Die Angestellten sollen vor ständigen Pressefragen geschützt werden. „Das regt die zu sehr auf.“ Es scheint schlecht zu stehen um die Perspektiven für zahlreiche Mitarbeiter: Viele sind nicht mehr die Jüngsten, und die Arbeit im Hotelwürfel an der prominenten Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße war ihr Leben.

Vor genau 61 Jahren, beim Bombenangriff vom 3. Februar 1945 auf Berlins City, waren auch die Häuser an der berühmten Kreuzung zum Trümmerhaufen geworden, nur das „Haus der Schweiz“ mit dem Tellknaben am Giebel stand felsenfest an seinem Platz. Mitte der sechziger Jahre begann man, die Lücken zu schließen. Mit sichtbarem Bezug zur Vergangenheit entstand an der Stelle des traditionellen Café Bauer das „Lindencorso“ mit Restaurant, Kaffeehaus (mit Musik zur Sahnetorte), eine beliebte Mocca- und eine Nachtbar. Davor ein Springbrunnen und ein kleiner luftiger Platz, wie gegenüber, auf der Nordseite. Dort sollte quasi das Hotel Victoria wieder aufleben, freilich nicht im Stil der Jahrhundertwende, sondern so, wie es modern war, als die Architekten Heinz Scharlipp, Günter Boy, Helmut Riechert und Wolfgang Vieroth 1964 bis 1966 das Hotel Unter den Linden bauten – auch mit einer Freifläche zur Friedrichstraße und mehr als einem Dutzend Bäume davor.

Das Hotel wurde so schlicht, wie es vorgefertigte Platten möglich machten, äußerlich aufgepeppt mit gelben Bändern und blauen Vertikalstreifen zwischen den 331 Zimmern. Dies war nach dem „Berolina“ hinter dem Kino International an der Karl-Marx-Allee das zweite Ost-Berliner Interhotel. Bis heute ist es wegen seiner zentralen Lage und der für ein Drei-Sterne-Haus günstigen Preise beliebt. Auslastung zuletzt: mehr als 80 Prozent. Im Restaurant konnte man zu Mauerzeiten so schön gemütlich auf die West-Freunde warten, wenn sie vom nahen Bahnhof Friedrichstraße zu Besuch kamen. Damals gab es natürlich Soljanka. Die ist geblieben, nur jetzt gibt es sie mit dem Zusatz „Russische“. Und der „Sauerbraten Großmutter Art“ wird heutzutage im Restaurant „Tilia“ ganz international angeboten, nämlich mit Klößen: „home-made Thuringia Dumplings“. Künstler kamen immer gern ins Haus, denn sie hatten es nicht weit zu ihren Auftrittsorten, Karel Gott zum Beispiel zum Friedrichstadtpalast. Oder Udo Jürgens, der einer blonden Volontärin in seinem Hotelzimmer derart charmant begegnete, dass die ganz verstört in die Redaktion zurückkam und mit den Augen rollte: „Ich glaube, der wollte mich verführen.“ Theatertruppen, Orchester und Solisten stiegen an der berühmten Linden-Ecke ab. Auch Will Quadflieg wohnte einmal hier zu den (Ost-)Berliner Festtagen und freute sich, dass das Berliner Ensemble, in dem er seine Lesung hatte, ebenso leicht zu erbummeln war wie das Edelrestaurant „Ganymed“ nebenan.

Manfred Ackermann, einst Chef der größten Interhotels und lange Jahre Direktor im Haus Unter den Linden, sagte immer: „Mehr Mitte als hier gibt es nirgendwo in Berlin.“ Das zog nach der Wende Stammgäste ins Haus, Geschäftsreisende und Berlin-Touristen aus den alten Bundesländern, die nun ihren Kindern die neue Hauptstadt zeigen wollten. In- und ausländische Busunternehmen, vor allem aus grenznahen Ländern, sagt Ackermann, seien enttäuscht, dass das für ihre Gäste günstige Haus geschlossen wird. In den letzten zehn Jahren sei viel investiert worden. „Das Haus hat seine Verdienste gehabt und seine Aufgabe erfüllt, und wenn alles neu wird ringsum, ist wohl die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen.“

Das Neue ist ein Bürohaus auf Stelzen, glatt und verwechselbar. Ohne Charme und ohne Café. Kein Hauch von Tradition schimmert durch den Entwurf, für den jetzt 17 Bäume gefällt wurden, damit die Ecke bis zur Friedrichstraße bebaut wird und so dem Investor maximale Erträge bringt. Vielleicht kann man von einer Münchner Firma („Meag“) nichts anderes erwarten, wenn sie in einer der berühmtesten Kreuzungen Europas nurmehr ein „Premiumprodukt“ sieht.

Aber wo sind Berlins Denkmalschützer? Ihnen scheint es zunehmend die Sprache zu verschlagen, und die Senatorin redet sich und dem staunenden Publikum die zuzubetonierende Ecke mit den geplanten Edelgeschäften, Büros und teuren Wohnungen schön. Sie nennt die urbane Flickschusterei „Stadtreparatur“ und sagt, die 17 Bäume würden neu gepflanzt – in Hohenschönhausen.

Am 25. Februar ist im „Hotel Unter den Linden“ die letzte Übernachtung möglich. Am 26. verlässt der letzte Gast das Haus. Dann wird ausgeräumt und ab 1. März abgerissen, so wie der Palast der Republik tausend Meter östlich. Und Berlin grüßt während der Fußballweltmeisterschaft die Gäste aus aller Welt – mit zwei Ruinenflächen auf seiner Prachtmeile.

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