zum Hauptinhalt

Berlin: Mehr oder weniger

Tagesspiegel-Leser befürworten DNA-Tests bei allen Straftätern Datenschützer warnen davor – sie fürchten Missbrauch

Hat Berlin wirklich nur so wenig Daten geliefert? – Justizsprecherin Andrea Boehnke war gestern selbst verwundert über die Berliner Zögerlichkeit beim Thema DNA-Analysen. Nur 7128 DNA-Spuren haben die Berliner Ermittler an das Bundeskriminalamt gemeldet, die fleißigen Bayern hingegen 60 000. Im Freistaat leben allerdings auch 12,3 Millionen Menschen – das Dreieinhalbfache von Berlin. Dennoch bleibt der Unterschied groß. Die Tagesspiegel-Leser, die nach unserer jüngsten Sonntagsfrage anriefen, wünschen sich zu 86,4 Prozent, dass künftig von allen Straftätern DNA-Informationen erfasst werden.

Ob sich der Berliner Rückstand mit einer strengeren Justiz erklären lässt? Denn bevor Material entnommen, entschlüsselt und gespeichert werden darf, muss ein Richter dies anordnen. Zahlen, etwa zu abgelehnten Anträgen, konnte die Justizverwaltung gestern nicht nennen. „Die Berliner Richter legen die Latte höher als die Bayern“, sagte Grünen-Rechtspolitiker Alexander Ratzmann. „Sie prüfen genau: Hat die Straftat besondere Bedeutung? Besteht wirklich Wiederholungsgefahr?“ Ist das nicht der Fall, erlauben sie die DNA-Untersuchung nicht – zur Freude von Datenschützern und Strafverteidigern. Die Regeln für das alles stehen in der Strafprozessordnung (StPO). Ist ein Täter schon verurteilt und sollen seine Daten für künftige Strafverfahren gespeichert werden, so gilt außerdem das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz von 1998.

Die Stammzellen des Betroffenen müssen sofort vernichtet werden, nur die nicht codierenden Teile der DNA dürfen ausgewertet werden. Damit ist praktisch der Füllstoff zwischen den Genen gemeint. Er enthält bei jedem Menschen ein anderes Muster. „Personenbezogene Informationen kann man aus diesem Datensatz nicht herauslesen“, sagt Polizeisprecher Uwe Kozelnik. Kann nicht, aber könnte, sagen die Datenschutzbeauftragten der Länder, die vor einer Ausweitung der DNA-Analysen warnen. Schon jetzt könnten daraus Zusatzinformationen gewonnen werden, etwa über Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, bestimmte Krankheiten – auch wenn das bisher nicht geschehe. Dort liege ein weites Feld für Missbrauch. „Die Entwicklung ist rasant“, sagte der Sprecher des Berliner Datenschutzbeauftragten, David Gill. „Wer weiß, was wir in einigen Jahren noch alles durch diese Probe herausbekommen können?“

Die Erbinformationen sämtlicher Bürger zu speichern, wie derzeit in Großbritannien diskutiert, ist in Deutschland nicht erlaubt. Das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ hat Verfassungsrang, es kann nicht ohne guten Grund eingeschränkt werden. In einer Entschließung vom vergangenen Juli warnen die Datenschutzbeauftragten der Länder vor einer Umkehr der Beweislast. Jeder Bürger, der irgendwo ein Haar verliert, könnte dann unter Verdacht geraten und müsste womöglich seine Unschuld beweisen.

Fatina Keilani

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false