zum Hauptinhalt
Um Angriffe zu vermeiden, sollen die Beamten unter anderem keine Scheren und Brieföffner mehr offen liegen lassen.

© dpa

Mehr Schutz für Berliner Beamte: Vorfälle in Bezirksämtern bislang kaum erfasst

Eine berlinweit einheitliche Statistik zu Übergriffen auf Mitarbeiter der Bezirksämter gibt es nicht – regelmäßigen Attacken zum Trotz. In einzelnen Bereichen geht es nicht mehr ohne Wachschutz.

Am Ende waren es die Kollegen, die Schlimmeres verhinderten. Nachdem eine Mitarbeiterin des Neuköllner Jugendamtes einer Mutter erklärt hatte, dass ihr Kind länger als geplant in der Obhut des Amtes bleiben solle, zog diese ein Messer. Die Frau drohte damit, sich selbst das Leben zu nehmen und das der Jugendamtsmitarbeiterin gleich mit. Konfrontiert mit der sie bedrohenden Frau schrie die Mitarbeiterin intuitiv nach Hilfe. Heraneilende Kollegen konnten die Situation deeskalieren.

Auch wenn solche Situationen selbst in Berliner Behörden die Ausnahme sind – sie kommen immer wieder vor. Wie häufig genau und welche Bereiche der Verwaltung besonders gefährdet sind, ist derzeit jedoch unklar. Eine kontinuierliche, nach abgestimmten Kriterien erfasste und zentral geführte Statistik aller Bezirke existiert nicht. Genau wie seriöse Aussagen dazu, ob und wo sich die Fälle häufen, wo sie möglicherweise sinken und welche Maßnahmen dagegen helfen.

„Derzeit ist kein Bezirk in der Lage, zu sagen, wir hatten so und so viel Beleidigungen, Sachbeschädigungen oder körperliche Angriffe in dem und dem Zeitraum“, erklärte dazu Stefan von Dassel (Grüne), Bürgermeister des Bezirks Mitte. Er erntet dafür zwar Widerspruch, unter anderem aus Neukölln, wo 2019 knapp 60 Fälle registriert worden waren. Im Kern aber bleibt es dabei: Die Bezirksämter sind verantwortlich für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter. Diese lässt sich nur gewährleisten, wenn Gefahren erkannt und gebannt werden.

Genau darauf haben sich von Dassel und seine Amtskollegen am Freitagvormittag bei einem Treffen im Rathaus Tiergarten verständigt. Ziel sei es, eine bezirksübergreifend einheitliche Statistik zu An- und Übergriffen auf Mitarbeiter der Ämter zu bekommen, erklärte von Dassel.

Vorfälle müssen überhaupt erst gemeldet werden

Dazu sollen Erfassungsbögen vereinheitlicht werden, mit denen die Mitarbeiter Attacken melden können. Darüber hinaus müssten die Beschäftigten sensibilisiert werden. „Wir wollen alle Beschäftigten dazu aufrufen, jegliche Vorfälle zu melden“, sagte von Dassel weiter.

Als vorbildlich beschrieb der grüne Bezirksbürgermeister das Vorgehen in Spandau. Dort war im März 2019 ein „Leitfaden im Fall von Gefährdungen der Beschäftigten“ verfasst worden. Laut Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD) ist das darin angewandte Farbschema verschiedener Gefährdungsstufen an den Notfallplan in Schulen angelehnt.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich über Ereignisse aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Die von Grün bis Rot reichende Skala unterscheidet zwischen „normalen bis kontroversen Gesprächssituationen“ bis hin zu „Ereignissen mit unmittelbarer Lebensgefahr“ und rät Mitarbeitern grundsätzlich dazu, weder gefährliche Gegenstände wie Scheren oder Brieföffner auf dem Schreibtisch herumliegen zu lassen noch Familienfotos aufzuhängen – der Privatsphäre wegen. Allerdings: Die Broschüre umfasst 17 Seiten. Für den Alltagsgebrauch eher ungeeignet.

Neuköllner Sozialamt hat bereits Wachschutz

Praktische Maßnahmen, um Mitarbeiter besonders gefährdeter Abteilungen zu schützen, nennt Falko Liecke (CDU), Jugendstadtrat in Neukölln. Das Sozialamt des Bezirkes werde von einem Sicherheitsdienst bewacht, erklärt Liecke, auch weil zahlreiche Bürger – gerade im Bereich der Wohnungslosenhilfe – Messer bei sich hätten.

Eingeführt worden war die Maßnahme nach einer mehrere Jahre zurückliegenden Attacke auf einen Mitarbeiter. Er war mit einem Messer verletzt worden. Seinen Arbeitsplatz im Sozialamt hat er daraufhin aufgegeben. Darüber hinaus müssen Besucher des Sozialamts eine Einlasskontrolle passieren und sich dort mit einem Metalldetektor absuchen lassen.

Taschenkontrollen seien „Placebo“-Effekt

Auch das ist eine Folge des Angriffs, an der es laut Bezirksamtssprecher Christian Berg nichts zu rütteln gibt. „Die allermeisten Besucher akzeptieren es“, erklärt er. Solche Taschenkontrollen an den Eingängen der Rathäuser grundsätzlich einzuführen, hätten die Bezirksbürgermeister auf ihrem Treffen vom Freitag verworfen, erklärte von Dassel. Auch weil diese Maßnahme ein „Placebo“ wäre. Beleidigungen und andere Arten verbaler Aggression ließen sich so nicht vermeiden.

Eines der Probleme, für das in den Bezirksämtern nach einer Lösung gesucht wird, ist das Thema Cybermobbing. Im Internet kursieren Videos, die Attacken auf Behördenmitarbeiter zeigen. Mithilfe sozialer Netzwerke verbreiten sich diese rasant, ohne dass die Behörden etwas unternehmen können.

Auf Antrag des Pankower Bürgermeisters Sören Benn (Linke) will der Rat der Bürgermeister den Senat dazu auffordern, einen Handlungsleitfaden für den Umgang mit Anfeindungen im Internet zu erarbeiten. Darüber hinaus soll eine zentrale Anlaufstelle Behörden und betroffene Beschäftigte beraten und Maßnahmen koordinieren. Der Antrag soll am kommenden Donnerstag verabschiedet werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false