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Günter Piening

© Mike Wolff

Berlin: Mehr Verwalter als Gestalter

Günter Piening ist seit fünf Jahren Berlins Integrationsbeauftragter: Kritik hat ihn stetig begleitet, er aber verweist auf die Erfolge.

Von Sabine Beikler

Die beiden sind wie Hund und Katze: der Integrationsbeauftragte Günter Piening und Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). Schon 2003 gifteten sich die beiden öffentlich an. Und als Buschkowsky 2005 die Ausschreitungen von Migranten in Paris als „Blick durch das Schlüsselloch in die Zukunft Berlins“ sah, warnte Piening davor, „Pariser Verhältnisse“ herbeizureden und nannte Buschkowsky einen „Alarmisten“. Besser ist das Verhältnis zwischen beiden nicht geworden. Dementsprechend fällt auch Buschkowskys Fazit über Pienings Arbeit aus. „Er macht Integrationsarbeit im Stil von Seminarübungen. Geht es um praktikable und nachvollziehbare Integrationspolitik, hat das mit Piening nicht viel zu tun.“ Mit seiner Kritik steht Buschkowsky fünf Jahre nach Pienings Amtsantritt nicht allein da.

Nach siebenjähriger Tätigkeit als Ausländerbeauftragter in Sachsen-Anhalt trat der westdeutsche Soziologe und frühere Redakteur des Bielefelder Stadt Blatts am 1. Juni 2003 sein Amt an. Er wusste, dass es nicht einfach sein würde, in die Fußstapfen seiner Vorgängerin Barbara John (CDU) zu treten. Damals verkündete er, sein Ziel sei dann erreicht, wenn sein Posten überflüssig werde. Das scheint noch zu dauern. Heute ist aus der befristeten Stelle im Ressort von Senatorin Heidi Knake-Werner (Linke) eine unbefristete geworden. Koalitionspartner SPD hätte den Integrationsbeauftragten gern länger in einem befristeten Arbeitsverhältnis gesehen. „Gravierende Fehler“ habe Piening zwar nicht gemacht, aber „perspektivisch“ hätte man über das „generelle Beauftragtentum“ nachdenken wollen, heißt es diplomatisch in SPD-Kreisen.

Die Hauptkritik an Piening ist, dass er zu wenig präsent ist, dass er mehr Verwalter als Gestalter ist. Er zeige sich viel zu selten bei Migrantenvereinen. „Es kennt ihn keiner. Er lässt sich nicht auf Festen sehen“, sagen Integrationsexperten, die nicht genannt werden wollen. So könne er kein Vertrauen bei Migranten aufbauen. „Bei ihm spürt man keine Begeisterung, keine Empathie“, heißt es.

Pienings Vorgängerin Barbara John sei „mehr präsent“ gewesen, sagt zum Beispiel Yonas Endrias vom 2003 gegründeten Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen. In der vor der Fußball-WM 2006 geführten Debatte über No-Go-Areas, von gefährlichen Zonen für Ausländer, habe Piening „nie mit dem Afrikarat gesprochen“, ärgert sich Endrias heute noch. Endrias vermisste damals und heute, dass Piening sich nicht „deutlich positioniert und offensiv ist“.

Piening hört man, wenn überhaupt, nur auf Nachfrage in gesellschaftlichen Debatten, seien es die Diskussionen über Jugendgewalt, Zwangsehen, ausländische Intensivstraftäter oder über Multikulti. Ist Multikulti für ihn gescheitert? Zunächst antwortet er darauf nicht, sondern spricht von „Absurditäten der Fragestellung“. Multikulti sei „ kein Lebensgefühl, sondern eine Aufgabe. Wir haben Vielfalt, die gestaltet und gefördert werden muss“, sagt Piening und ergänzt, dass „Vielfalt gleichzeitig einen Zusammenhang gefährden kann“. Das möge für den einen oder anderen kompliziert klingen. Auf die Bitte, das verständlich zu übersetzen, sagt er, dass die „sozialräumliche Orientierung der Migrantenorganisationen“ in Richtung Nachbarschafts- oder Stadtteilläden wichtig sei. Andere würden einfach sagen: Es ist wichtig, dass Migranten aktiv in den Kiezstrukturen mitarbeiten. Und : Nein, er denke nicht, dass Multikulti gescheitert ist, schiebt er dann nach.

Der Integrationsbeauftragte wohnt seit fünf Jahren im Graefekiez in Kreuzberg. Auf die Frage, wie er den Stand der Integration bewertet, sagt er, dass trotz der schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen die Migrantengruppen „gut vorangekommen sind“. Integration sei eben ein Prozess. Deutlich verbessert habe sich zum Beispiel die Einbeziehung der Moscheegemeinden und Migrantenorganisationen in die Stadtteilarbeit.

„Theoretisch ist Piening gut. Aber er sieht sich mehr als Beamter denn als Türöffner. Integration läuft aber über die Herzen ab“, sagt Ülker Radziwill (SPD), die Vorsitzende der AG Migration. „Er muss näher bei den Menschen sein. Das Herzliche fehlt ihm“, sagt sie. „Ich bin aber keine Barbara John“, verteidigt sich Piening. Der mütterliche Habitus sei für die erste Zuwanderergeneration wichtig gewesen. Das sieht auch Safter Cinar vom Türkischen Bund so. Piening müsse nicht Position beziehen, sondern „Brücken zur Mehrheitsgesellschaft“ bauen. Piening selbst sagt, seine Aufgabe sei nicht, als „Rächer der Migranten aufzutreten, sondern ein demokratisches Spielfeld vorzubereiten. Spielen müssen die anderen.“

Lieber spricht der 57-Jährige von der gesunkenen Schulabbrecherquote bei Migranten von 19,1 Prozent in den Jahren 2001/2002 auf 12,6 Prozent fünf Jahre später, von der gestiegenen Zahl der Gymnasiasten mit Migrationshintergrund. Das sieht er als Erfolg der Bildungspolitik. Sein Part sei, „korrektiv und moderierend“ zu wirken. Das Wort „moderieren“ kommt sehr häufig vor. Der groß gewachsene blonde Integrationsbeauftragte zeigt auf ein Konvolut an Papieren und Broschüren: das Welcome-Package für Neuzuwanderer, die „Handlungsfelder der Zusammenarbeit mit islamischen Vereinen“ oder das 145 Seiten dicke Integrationskonzept „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“. Dieses Konzept ist für ihn ein Erfolg seiner Arbeit. Darin stehen Schaubilder, Pfeile und viel Theorie über Ziele, Handlungsfelder, Leitfelder und 50 „Handlungsindikatoren“, mit denen der Integrationsgrad gemessen werden soll.

„Fachlich gut, aber zu kompliziert und ohne klare Kernaussagen“, sagen Radziwill oder FDP-Migrationspolitiker Rainer-Michael Lehmann zum Konzept. Und CDU-Generalsekretär Frank Henkel ärgert sich, dass Piening „einseitig agiert und Multi-Kulti-Träumen nachhängt“.

Die Anwältin, Autorin und Integrationsexpertin Seyran Ates ist Mitglied im Integrationsbeirat in Nordrhein-Westfalen. In Berlin gab es dagegen kein Interesse an ihrer Mitarbeit. Vielleicht sei sie „für die zu polarisierend“, meint Ates. „Aber immer nur mit Wattebäuschen zu werfen und das Positive hervorzuheben“, sagt sie, „kann schnell zu Realitätsverlust führen.“ 

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