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Hatice Akyün hat eine On-Off-Liebe mit dem MSV.

© André Rival

Mein Berlin: Ackern wie Mama - für eine bessere Ernährung

Jetzt aber mal im Ernst: Hatice Akyün denkt über deutsche Ernährungsgewohnheiten nach - und vermisst den anatolischen Gemüsegarten ihrer Kindheit.

Was Spielplatz-Besuche angeht, bin ich für Charlottenburger Verhältnisse geradezu altmodisch. Ich habe keine Wechselwäsche dabei, keine Frischhaltedose mit mundgerecht geschnittenen Karotten- und Gurkensticks und keine makrobiotischen Reiswaffeln. Auch renne ich meiner Tochter nicht mit einer Flasche Bioapfelsaft-Schorle hinterher und rufe: „Aber Mäuschen, es ist doch so heiß, du musst trinken, sonst dehydriert dein Körper.“ Üblicherweise gehen wir mit folgender Ausstattung auf den Spielplatz: Eimer, Schaufel, Förmchen, Gießkanne und Mütze. Unterwegs kaufen wir einen Café Latte für mich, einen Kakao für sie und dazu teilen wir uns ein großes Stück Schokoladenkuchen. Als Dank bekomme ich einen dicken Kuss, und die gute Laune ist zumindest bis zur Mittagsschlafenszeit gesichert. Was waren das für schöne Zeiten früher, als wir auf Bäume kletterten, Höhlen bauten, aufgeschlagene Knie hatten, Kirschen aus Nachbars Garten klauten, aßen, wenn wir Hunger hatten, tranken, wenn wir durstig waren und nach Hause gingen, wenn es dunkel wurde.

Als meine Familie und ich Anfang der 70er Jahre unser Zechenhaus in der Bergmannssiedlung in Duisburg- Marxloh bezogen, verzweifelte meine Mutter daran, dass sie in der ganzen Stadt kein ordentliches Gemüse finden konnte. Wie sollte sie bloß ihre Familie ernähren? Bald würden ihre armen Kinder so blass, blond und farblos aussehen wie die der Nachbarn. Es gab weder Auberginen noch wohlschmeckende Tomaten, Paprika oder Zucchini. Aber meine Mutter wäre nicht meine Mutter, wenn sie sich nicht zu unserer Rettung bald etwas hätte einfallen lassen. Unser Vormieter überließ uns nicht nur ein gepflegtes Stückchen Rasen, sondern auch akkurat zurechtgeschnittene Rosensträucher. All das ist in den Augen einer anatolischen Mutter Unkraut oder zumindest eine verantwortungslose Verschwendung von Nutzfläche. Sie verwandelte den liebevoll gehegten Rosengarten in nur einer Saison zu einem anatolischen Gemüsefeld. Sie rupfte und zupfte alles aus, was der gute Mann in jahrelanger Mühsal gezüchtet hatte. Sie grub den Boden um, streute Samen und pflanzte kleine Setzlinge, die mein Vater von einem türkischen Kollegen beschafft hatte. Schon wenige Monate später konnte sie endlich wieder die vielen türkischen Köstlichkeiten zubereiten, ohne sich überlegen zu müssen, ob eine Zucchini durch eine Gurke ersetzt werden konnte. Sie pflanzte Kartoffeln im Herbst, Tomaten, Gurken und Zucchini Ende Mai, Erdbeeren und Himbeeren im August. In unserem Garten reiften Stangenbohnen, Kürbisse, sogar Knoblauch und Frühlingszwiebeln. Nach der Ernte legte meine Mutter das Gemüse in Gläsern ein, kochte Marmelade und unsere Vorräte für den Winter waren somit sichergestellt.

Meine Tochter kennt das alles nicht. Im Supermarkt gibt es sämtliche Obst- und Gemüsesorten zu jeder Jahreszeit. „Fortschritt“, kommentierte ein Freund, „braucht eben eine Gesellschaft, die damit umgehen kann“. Denn was bleibt an einer Biogurke natürlich, wenn sie 2500 Kilometer aus Spanien nach Deutschland reist? Unser Brot wird schockgefrostet aus Frankreich geliefert, der Lieblingswein aus Chile, die Erdbeeren aus Südafrika, der Barsch mit dem Frachtflieger aus Tansania. Für jede Tasse Kaffee, die produziert wird, werden 140 Liter Wasser verbraucht, und die Insektizide unserer Bananen schädigen seit Generationen das Erbgut der Pflücker in Guatemala. So betrachtet sind die aktuell zu vermeldenden Verluste in Deutschland für den Einzelnen zwar sehr bedauernswert, global betrachtet aber geradezu verschwindend gering.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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